Prima Klima in der Kabine: Für Köllner geht der Zusammenhalt über alles

Nächtlicher WhatsApp-Dialog mit einem frustrierten Talent, Verständnis für den grübelnden Dennis Dressel: Michael Köllner gibt alles für gute Stimmung im Team.
Jüngst hat Michael Köllner von einem Kuriosum berichtet, von einem nicht alltäglichen Vorgang im Profifußball. Sonntagabend nach dem Testspiel gegen Burghausen (4:2): Eines der jungen 1860-Talente schickt dem Trainer eine WhatsApp-Nachricht. Inhalt sinngemäß: Warum habe ich nicht gespielt? Die normale Trainerreaktion wäre gewesen: Schweigen – oder Schelte. Es ist auch im normalen Arbeitsleben absolut unüblich, dass der Lehrling den Chef zur Rechtfertigung seines Handelns auffordert. Köllner jedoch blieb entspannt – und machte sich sogar die Mühe, dem Jungprofi zu antworten. Seine Botschaft: Wer gut trainiert, spielt. Wer schlecht trainiert, sitzt draußen. Gipfelnd im gut gemeinten Ratschlag: Du hast dein Schicksal selbst in der Hand!
Für Köllner war das Thema damit erledigt. Er erhielt die gewünschte Antwort des Belehrten („Alles klar, Trainer“). Sein Gefühl war: Er hatte nicht nur einen jungen Fußballer auf den Pfad der Tugend geführt, sondern zugleich etwas für den Rest der Gruppe getan. Der Löwen-Coach weiß: Ein unzufriedener Profi kann reichen, um das Klima in der Kabine zu vergiften. Ähnlich wie beim berühmten faulen Apfel.
Lustig ist es sich auszumalen, wie Ex-Trainer Werner Lorant mit so einem Spieler verfahren wäre. Aber: Taktik und Technik zu lehren, ist für Köllner nur die eine Seite seines Berufs. Die restliche Zeit sieht er sich als Psychologe gefordert. Vielleicht auch als Soziologe. Spezialgebiet: Wie halte ich eine Gruppe zusammen, die aus 23 Individuen besteht? 23 Spieler bedeutet: 23 verschiedene Befindlichkeiten. Von ihnen hängt der Zusammenhalt des Teams ab, den Köllner für elementar hält. Er sagt: „Meine Hauptarbeit besteht darin, die Kabine im Griff zu haben.“
Die Kunst für ihn besteht darin, für positive Stimmung im Spielertrakt zu sorgen, ohne dass er das Heiligtum der Profis physisch betritt. Die begabtesten Fußballer sind schließlich nutzlos, wenn das Gefüge nicht passt, sich Egoismus breitmacht, respektloser Umgangston. All das, was dazu führt, dass die Herde dem Schäfer irgendwann auf der Nase herumtanzt (woraufhin dann meistens der Trainer entlassen wird). Bekanntlich ist Psychologie ein wichtiges Fach bei der Ausbildung zum Fußballlehrer. Köllner zum Beispiel hat im Laufe der Jahre folgende Rechnung aufgemacht: „Ein Mehr an Kaderqualität geht oft einher mit einem Weniger an Zusammenhalt.“
Köllner führt aus: „Es ist mit die komplizierteste Aufgabe, die persönlichen Ziele des Spielers und die Ziele der Mannschaft und des Vereins im Einklang zu behalten.“ Sein Credo: „Auf Distanz nah sein.“ Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er rund um die Uhr als ausgleichender Moderator unterwegs ist. Immer getreu dem Motto: „Man hat zwei Ohren, zwei Augen – aber nur einen Mund.“ Anders ausgedrückt: „Mehr hören, mehr sehen, aber weniger sprechen. Psychologie spielt in allen Facetten eine Rolle.“ Normal für ihn, dass er einem verunsicherten Talent zuhört wie im eingangs geschilderter Beispiel. Oder dass er sein Ohr einem Profi leiht, den Wechselgedanken plagen. So geschehen bei Dennis Dressel.
Köllner behauptet, er würde sogar „Nein“ sagen, wenn die Gesellschafter jetzt noch zusätzliches Geld für Leihspieler locker machen würden. Einer der Kollateralschäden wäre, dass er altgediente Profis enttäuschen müsste. Und schlimmer noch: Er selbst könnte unglaubwürdig werden – weil er Spieler XY bei Vertragsgesprächen andere Perspektiven aufgezeigt hat. Er würde einen guten Mann dazugewinnen – aber alte Spieler und das eigene Ansehen verlieren.
Die negativen Seiten des Trainerseins hat er am Ende seiner ersten Saison bei 1860 erlebt. Auch bedingt durch die Corona-Distanz hatte das Klima in der Kabine so gelitten, dass Köllner einen Verhaltenskatalog einführte. 18 Verträge liefen aus, neue charakterstarke Spieler kamen dazu – der Grundstein für eine erfolgreiche Saison, die mit einem schwach eingeschätzten Team fast die Relegation gebracht hätte. Uli Kellner