1860 und seine Fans: Die Beziehungskrise

München - Das unansehnliche 2:1 gegen Bielefeld taugt kaum, die Beziehungskrise zwischen 1860 und seinen Fans zu beheben.
München – Vor der Spielerbank des TSV 1860 war ein Schild postiert, dessen Aufschrift gemeinhin als Credo weiß-blauer Fußball-Begeisterung gilt. „Münchens große Liebe“, stand da. Die Zeile entstammt der inoffiziellen Vereinshymne „Mit Leib und Seele“. In dem Song geht es um ewige Treue, innige, unverbrüchliche Zuneigung. Doch in den letzten Wochen hat diese schon sei vielen Jahren von Leid geprüfte Beziehung zwischen den Löwen und ihren Fans so arg gelitten, dass sich am Karsamstag plakativer Protest auf der Tribüne zeigte. In großen Lettern stand da zu lesen: „10 Jahre 2. Liga – Jedes Jahr ein neuer Tiefpunkt.“ Nicht viel schmeichelhafter las sich ein Transparent in der Fankurve: „Den Löwen auf der Brust – zum Kämpfen keine Lust.“
Kein Zweifel, die Geduld des Anhangs neigt sich dem Ende zu, die große Liebe erlebt eine große Krise. Und es lässt sich sicher nicht behaupten, beim 2:1 über den Abstiegskandidaten Arminia Bielefeld sei sie wieder wachgeküsst worden. Immer wieder wurden Pfiffe laut in einer Partie, die sich für die offiziell 15 100 Zuschauer am unteren Rand des gerade noch Erträglichen bewegte, weil nach drei Niederlagen in Serie endlich wieder gewonnen wurde. Von Versöhnung aber konnte da nicht die Rede sein, auch wenn Gabor Kiraly, Torhüter und neuer Kapitän, befand: „Das war ein guter Schritt nach vorn.“
Wie sehr sich der Unmut des Anhangs zu blankem Zorn verdichtet hatte, zeigte sich ja schon wochentags, als der Mannschaftsbus bei seiner Rückkehr aus Dresden blockiert wurde und sich die Spieler in hitzige Wortgefechte verwickelt sahen. Kiraly stattete daraufhin dem Fanclub „Giasinga Buam“ einen Besuch ab, um die Wogen zu glätten. Doch am Ende der nun schon zehnten trostlosen Zweitligasaison sind die um sich greifenden Frustrationen nur schwer zu bändigen. „Das ist für keinen von uns eine einfache Situation, wenn man von allen Seiten eine auf den Deckel kriegt“, meinte Verteidiger Christopher Schindler. Zum demonstrativen Protest auf den Zuschauerrängen sagte der 23-Jährige: „Solche Plakate machen es für uns nicht leichter.“
Immerhin hatte Trainer Markus von Ahlen nach dem peinlichen 2:4 bei Dynamo Dresden versucht, den Eindruck zu erwecken, dass nun die Zeit der personellen Konsequenzen angebrochen ist. Kapitän Guillermo Vallori und auch Markus Steinhöfer wurden aus dem Kader gestrichen, Dominik Stahl musste auf die Bank. Und kurz hatte es gar den Anschein, als wäre dadurch der angestrebte Ruck durchs Team gegangen. Daniel Adlung brachte die Sechziger schon nach vier Minuten mit 1:0 in Führung – für die Fans bereits Grund genug, erste Gesänge anzustimmen.
Deutliche Worte auf 1860-Fan-Bannern: Bilder
Doch schon bald wurde es leiser; und nach dem 1:1-Ausgleichstor durch Ben Sahar (30.), das Kai Bülow durch einen kapitalen Stellungsfehler ermöglichte, löste jede verunglückte Aktion giftige Pfiffe aus. „Die Fans haben uns verunsichert. Ich hätte mir schon mehr Unterstützung erwartet“, erklärte Bülow. Die Sechziger konnten sogar von Glück reden, dass der Treffer von Kacper Przybylko (44.) wegen Abseits keine Anerkennung fand. Bielefelds Trainer Norbert Meier kam letztlich zu dem Schluss: „Wir haben eine Riesenmöglichkeit verpasst, aus München etwas mitzunehmen. Wir sind auf einen Gegner getroffen, der derzeit mit sich selbst zu tun hat.“
Tatsächlich schien den Löwen in fast jeder Aktion anzumerken zu sein, dass sie den Druck, der derzeit von Fans, Vereinsführung und Trainer ausgeübt wird, wie eine tonnenschwere Last mit sich herumschleppen. Immerhin kam es nach der Pause zu einer leichten Leistungssteigerung. 1860-Sportdirektor Gerhard Poschner beschrieb diese so: „Wir haben das Spiel 30 Meter weiter nach vorne verlagert.“ Das Resultat dieser Bemühungen: Ein gefährlicher Schuss von Adlung (60.), das 2:1 durch Bülow (72.) nach Ecke von Moritz Stoppelkamp und eine vergebene Chance von Yuya Osako (76.). Gegen zunehmend kläglich agierende Bielefelder reichte dies, um mit den drei Punkten den Klassenerhalt rechnerisch sicherzustellen.
Poschner, der sich hartnäckig weigerte, an diesem Tag über negative Dinge zu reden, ließ sich immerhin zu dem leicht kritischen Ansatz hinreißen: „Überall ist noch Luft nach oben.“ Nicht zuletzt im Verhältnis zu den Fans.
Armin Gibis