Was hat Paderborn, was 1860 nicht hat?

München - Paderborn als Inbegriff des grauen Fußball-Mittelmaßes? Diese Zeiten sind vorbei. Die Ostwestfalen stehen auf Relegationsplatz 3 - also genau dort, wo die Löwen so gerne wären. Was hat der SCP den Münchnern voraus?
Sie spielen erfrischenden Kombinationsfußball, sie fahren Sieg um Sieg ein, sie stehen auf Platz 3 der Zweitligatabelle und sie schnuppern am Aufstieg in die Beletage des deutschen Profifußballs. Liebe 1860-Fans, Ihr müsst jetzt stark sein: Denn die Rede ist nicht von eurem geliebten TSV, sondern vom SC Paderborn. Ja, richtig gehört: SC Paderborn.
Die Ostwestfalen stehen da, wo die Löwen gerne wären: auf dem Relegationsrang. Der Verein aus der Provinz schlägt den etablierten Traditionsvereinen in Liga zwei ein Schnippchen. Und das, obwohl sich im Team keine Stars befinden, der Etat mit 6,2 Millionen Euro einer der geringsten im Profifußball ist und auch die Zuschauer nicht gerade in Scharen in heimische Benteler-Arena strömen. Daher stellt sich die Frage:
Was hat Paderborn, was 1860 München nicht hat?
Kontinuität auf den entscheidenden Positionen
Mit Präsident Wilfried Fink führt seit 17 Jahren ein und derselbe Mann den Klub. Als erfolgreicher Möbelunternehmer pumpt er seit Jahren Geld in den SCP - ein Bundesliga-Aufstieg wäre so etwas wie die Vollendung seines Lebenstraums, denn der 63-Jährige plant seinen dosierten Rückzug aus dem Vereinsleben. Der sportliche Manager heißt Michael Born, ist seit 2011 im Amt. Auch die Trainer können in Paderborn in der Regel in aller Ruhe und ohne Sorge um Jobverlust ihrem Beruf nachgehen. Meist werden die Fußballlehrer aus Paderborn von größeren Klubs weggelockt, anstatt von der Klubführung entlassen zu werden.
Bei den Löwen sind die häufigen Wechsel auf der Präsidenten-, Sportdirektor- und Trainerposition hinlänglich bekannt. Kontinuität sieht anders aus. Die ständigen Rochaden haben zu einem inhomogenen Kader geführt, perspektivisches Arbeiten Fehlanzeige.
Trainertalent
Andre Breitenreiter war vor der Saison wohl nur den wenigsten Fußballfans bekannt. Der Ex-Profi startete seine Trainerkarriere beim Regionalligisten TSV Havelse und nutzte seine erste Chance im

Profifußball auf beeindruckende Art und Weise. Sein Präsident schwärmt in höchsten Tönen: "Breitenreiter hat den 360-Grad-Blick, bekommt alles mit, reagiert auf Kleinigkeiten, wird nie wankelmütig, sondern geht gradlinig seinen Weg." Die Vorgänger auf dem Trainerstuhl heißen unter anderem Roger Schmidt und Jos Luhukay. Schmidt sorgt derzeit mit Red Bull Salzburg für Furore und ist nun Kandidat bei Eintracht Frankfurt. Luhukay hinterließ beim FC Augsburg ein bestelltes Feld und zeigte auch mit Hertha BSC seine Qualitäten - der SCP hat sich als taugliches Probierfeld für angehende Bundesliga-Trainer erwiesen.
Und bei 1860? Werner Lorant, Peter Pacult, Falko Götz, Gerald Vanenburg, Rudi Bommer, Reiner Maurer, Walter Schachner, Marco Kurz, Uwe Wolf, Ewald Lienen, Reiner Maurer, Alexander Schmidt oder Friedhelm Funkel - so heißen die Löwen-Vorturner in diesem Jahrtausend. Bleibenden Eindruck hat keiner hinterlassen, und auf höchster Ebene ist keiner von ihnen mehr im Fußballgeschäft tätig. Interimscoach Markus von Ahlen startete mit einem desolaten 2:4 in Dresden seine Cheftrainer-Karriere bei den Löwen...
Ruhiges Umfeld
Nach dem durchwachsenen Saisonstart - nach neun Spieltagen lag Paderborn auf Rang 16 und schied zudem in der zweiten Pokalrunde gegen Drittligist Saarbrücken aus - wurde man nicht unruhig, sondern vertraute Trainer und Spielern. Präsident Fink ist zwar für den einen oder anderen Fehltritt auf dem Boulevard-Parkett bekannt, lässt die in der sportlichen Verantwortung stehenden Personen aber weitgehend autonom arbeiten. Das mediale Umfeld kann man getrost mit "bescheiden" umschreiben, überregional spielt der SCP in der Berichterstattung so gut wie keine Rolle. Lediglich bei anhaltendem Erfolg wird Fußballdeutschland auf die Ostwestfalen aufmerksam.
An der Grünwalder Straße auf dem Trainingsgelände der Löwen tummeln sich hingegen täglich mehrere Pressevertreter, auch überregionale Medien sind vertreten. Gefühlt jeder Verantwortliche im Verein hat einen heißen Draht zu "seinem" Berichterstatter, so wurden - zumindest in der Vergangenheit - immer wieder Klubinterna vorzeitig öffentlich.
Torjäger & Standardspezialist
Ja, der SC Paderborn hat einen waschechten Torjäger: Mahir Saglik.

Schon 14 Treffer stehen für den 1,78 Meter großen Angreifer zu Buche. Die zweitmeisten Tore im Team erzielte Standardspezialist Alban Meha. Der Albaner ist ein wahrer Freistoßkünstler, traf schon sechs Mal einen ruhenden Ball ins gegnerische Netz. Und wenn er nicht selber trifft, liefert Meha maßgenaue Vorlagen: 23 Tore nach Standardsituationen sind Ligaspitze. Sechs, fünf und vier - so liest sich die Trefferausbeute der drei erfolgreichsten Löwen-Torjäger. Moritz Stoppelkamp, Dominik Stahl und Yuya Osako haben gemeinsam also nur ein Tor mehr geschossen als Paderborns Saglik. Stoppelkamp ist mit neun Assists zwar der zweitbeste Vorbereiter der Liga, doch zwölf Treffer nach Standards sind nur Mittelmaß.
1860-Trainer: Kandidaten und Fan-Wünsche
Kein Erfolgsdruck
Von Paderborn wird vor dem Saisonstart in schöner Regelmäßigkeit nicht mehr erwartet als der Klassenerhalt. Zumindest fühlt sich niemand im Klub bemüßigt, öffentlich mehr zu fordern. Kapitän Markus Krösche erklärt zum Beispiel im Interview mit bundesliga.de: "Wir denken von Woche zu Woche und haben keinen Druck, aufsteigen zu müssen. So haben wir in den entscheidenden Momenten die Ruhe und sind nicht verkrampft. Das tut uns gut." Auch Coach Breitenreiter weigert sich beharrlich, Erwartungen zu schüren: "Alles, was jetzt kommt, ist Bonus."
Bei 1860 wurde die Saison unter das Motto "Löwenjagd" gestellt. Doch die Profis präsentierten sich wenig gierig auf der Pirsch nach einem Aufstiegsplatz. Seit zehn Jahren spielt der Verein in der 2. Bundesliga, angekommen scheinen viele der Fans und Verantwortlichen im Unterhaus allerdings noch nicht. Die Sehnsucht nach der Bundesliga ist groß, doch in schöner Regelmäßigkeit klafft beim TSV eine Riesenlücke zwischen Anspruch und Realität.
Fazit
Die Größe eines Klubs, sein Etat, seine Mitglieder, seine Stars und sein Anspruch sind noch lange keine Garantie auf den Bundesliga-Aufstieg.
dh