Wo die Krise Pause macht

Griechenland kommt nicht aus den Schlagzeilen. Krise, Krise, Krise lesen wir. Doch nicht überall herrscht das Chaos: Die kleine Insel Patmos vereint alles, was Griechenland als Urlaubsziel liebenswert macht – trotz Krise.
Nach Patmos gibt es keine Direktverbindung. Wir nehmen das Flugzeug nach Kos, genießen noch einmal festen Boden unter den Füßen und besteigen die Fähre mit Kurs auf Patmos. Immer schön der Küste entlang, von Insel zu Insel. Wir lernen, von Süd nach Nord, den Dodekanes kennen, diese Inselgruppe der Zwölf. Es dürfte dieselbe Route gewesen sein, die seinerzeit Dädalus und Ikarus auf ihrem Flug von Kreta aus genommen haben. Ikarus, wir wissen es, stürzte, den väterlichen Rat missachtend, dort ins Meer, wo Patmos liegt. Da gehen wir an Land.
Sie nennen den Ort Skala. Hafenmelodien. Hier ist was los. Motorräder knattern. Musik schallt aus den Tavernen. Es herrscht eine merkwürdige Mischung aus Modernität und Tradition, Geschäftssinn und Herzlichkeit. Abends geht es hoch her. Es gibt sieben Polizisten, und es ist gut, dass sie da sind, aber mehr schon nicht. Kriminalität kommt praktisch nicht vor – auf einer Insel mit 3000 Einwohnern, 12 000 Touristen in der Hochsaison und zirka 365 Kirchen, Klöstern und Kapellen, sozusagen für jeden Tag eine.
Das mit Abstand wichtigste Kloster ist die Gottesburg oben auf der

Höhe, in Chora. Sie trotzt dort seit fast 1000 Jahren allen Anfeindungen. Auch den Anstürmen der Touristen ist das Kloster, das seit 1999 unter Unesco-Schutz steht, gewachsen. „Amin, amin“, hört man es durch die Kirche hallen. 14 Mönche unterstehen dem Abt, den man Despotis nennt. Mag sein, dass er seine Mitbrüder, wenn’s Not tut, in die Psychis Iatreion schickt. Es wird wohl helfen. Denn die „Psychiatrie“ ist in Wirklichkeit die Bibliothek, also die „Heilstätte der Seele“. Der Klosterhügel wirkt wie ein zyklopischer Termitenhügel. Unten die Häuschen, alle weiß gekalkt, alle wie Würfel, wie Bauklötze aneinander geschmiegt, ineinander verschachtelt, mal kreuz, mal quer, selten mehr als zwei Stockwerke. So klettern sie den Hang hoch. Ganz oben dann, wie eine steinerne Krone, das Kloster, ein mächtiger Monolith. Die Mauern sind 15 Meter hoch, an manchen Stellen, so heißt es, 70 Meter. Die mussten damals aber mächtig Angst gehabt haben. Wer? Die Griechen. Vor wem? Vor den Türken, den Johannitern, den Piraten oder wer sonst in der Ägäis kreuzte.
Patmos ist ein heiliger, mystischer Ort
Und wie ist es heute? Auf Patmos hat niemand mehr Angst. Patmos ist ein friedlicher Ort. Und ein heiliger, mystischer Ort. Denn hier hat, etwas unterhalb des Klosterberges, Johannes in einer Grotte gelebt. Hier wurde ihm die Offenbarung zuteil: „Ich hörte hinter mir eine laute Stimme wie von einer Posaune.“ Alles, was er hörte, hat er seinem Schreiber Prochóros diktiert. Es war Gottes Stimme. Sie erschallte mit Macht. Die Risse vom Echo sind heute noch in der Grotte zu sehen, in der nach der Überlieferung um das Jahre 95 die Niederschrift erfolgte.
Wer ist, wer war der heilige Johannes? Jedenfalls nicht der Lieblingsjünger Jesu, also nicht der Verfasser des Johannesevangeliums, auch nicht der Verfasser der Johannesbriefe. Er war wohl nur ein Seher, von EphesosnachPatmosverbannt, ein Prophet. „Und es erschien am Himmel ein großes Zeichen.“
Das Kloster gilt, neben dem Berg Athos und den Metéora- Klöstern, als eine der heiligsten Stätten des christlichen Griechenland. Jung dagegen ist Patmos als profanes Paradies der Segler, Sonnenanbeter, Badehungrigen, Aussteiger und Kräutersammler.
Auf Patmos gibt es wunderschöne Strandbuchten
Trotzdem oder vielleicht auch deshalb besteht viel Raum für Individualisten. Neben Klippen und Steintürmen tut sich immer wieder eine Strandsichel auf, die eine sandig, die andere steinig, die dazu einlädt, unter dem Dach der Tamarisken Platz zu nehmen. Am schönsten ist die Bucht von Psili Ammos. Sie erreicht man nur zu Fuß.
Kann sein, dass man unterwegs zotteligen Ziegen, das Euter prall gefüllt, begegnet, die freundlich zu grüßen scheinen und erst im letzten Moment davon springen. Kann auch sein, dass man Stavros trifft, er trägt den klingenden Namen Sofianopoulos. Er baut Wein an, Kräuter und Gemüse. Wir begegnen ihm, als er gerade seine Gartenmauer ausbessert.
Ob er gerne Bauer sei? Er lacht auf die Frage: „Ich bin Pianist“, sagt er in holprigem Wiener Dialekt, „und schreibe Filmmusiken.“ Er pendelt zwischen Patmos und Athen. „Ich brauche die Natur zum Ausgleich“, und deutet voller Stolz auf seine Reben im Spalier. Zum Abschied schenkt er uns eine CD mit seinen Kompositionen. Sie klingen sanft und melancholisch und passen wunderbar zu dem Bild, wie sich die Buchten und Berge von Patmos mit Himmel und Meer verschwistern.
Wolfgang Minaty
REISE-INFOS Patmos
REISEZIEL Patmos gehört geografisch zu den südlichen sporaden, politisch zur Inselgruppe der Dodekanes in der ost-Ägäis. Die Insel ist rund 35 Quadratkilometer groß und eher hügelig als bergig, die höchste erhebung erreicht 269 meter. Der Bewuchs ist sehr spärlich, es gibt kaum Bäume, nur immergrünes Buschwerk bedeckt das land. Patmos hat etwa 3000 einwohner.
ANREISE Von münchen z.B. Direktflug mit tuifly, air Berlin oder Condor nach Kos. Von dort weiter mit der fähre, fahrtdauer zwischen 2,5 und 4 stunden (mit Katamaran bzw. autofähre). Patmos ist über mehrere hochfrequentierte fährlinien mit dem rest Griechenlands verbunden.
SEHENSWERT trotz seiner geringen Größe gehört Patmos zu den bedeutenderen Inseln der Ägäis: als vermutlicher schöpfungsort der offenbarung des Johannes ist sie standort eines der wichtigsten Klöster der griechisch-orthodoxen Kirche (s. artikel links). Daher gilt Patmos auch als „heilige Insel“ und konnte trotz des fehlenden flughafens an der touristischen erschließung der griechischen Inselwelt teilhaben, ohne die auswüchse des massentourismus erleben zu müssen.
WOHNEN - empfehlenswert sind die einfache, aber herzliche „Villa Zacharo“ (ab 35 euro, tel. 0030/224 70/315 29, www. villa-zacharo.gr) oder das vornehmere „Porto scoutari“ (ab 60 euro, tel. 0030/ 224 70/331 23, www.portoscoutari.com).
BADEN Sandstrände gibt es nur an der Süd- und Ostküste der Insel. Die Westküste besteht vor allem aus schroffer Steilküste, im Norden überwigen steinige Strände.
VERANSTALTER Auch der Münchner Griechenland-Veranstalter Attika Reisen hat Patmos im Programm. reisebeispiel: eine Woche mit Flug nach Kos, Schiffstransfer und Ü/F in der Pension Avgerinos ab 655 Euro. Info/Buchung unter tel. 0800/167 18 00, www.attika.de.
ESSEN/TRINKEN Die griechische Küche ist einfach, aber ehrlich und herzhaft, über ganz Patmos verstreut gibt es niedliche Tavernen, empfehlenswert sind „Chiliomodi“ und „Ostria“ (beide am Hafen von Skala).
WEITERE INFOS Griechische Zentrale für Fremdenverkehr in München, Pacellistr. 5, tel. 089/22 20 35, www.gnto.gr.