Der Zug ist das Ziel

Wer mit dem Rocky Mountaineer im Westen Kanadas unterwegs ist, braucht 22 Stunden für 1.000 Kilometer. Aber das macht nichts.
Die meisten wollen danach nicht einmal schnell aussteigen. Am liebsten möchten sie weiterfahren – durch das wilde Hinterland, quer durch die Rocky Mountains. Unsere Autorin Barbara Nazarewska ist mitgereist: von Vancouver nach Banff.
Bob kommt ziemlich früh, kurz vor halb sechs, die Sonne ist grad aufgegangen. Er ist einer der Ersten. Da gibt noch kein Gedränge beim Kaffee, sagt er. Und umschauen kann man sich auch in Ruhe: in der Pacific Central Station von Vancouver. Hier fährt er los, der Rocky Mountaineer, ein Luxuszug mit einer gläsernen Kuppel – damit man alles rundherumsieht. Blau- Weiß-Gold, das sind seine Farben. Bob findet, auf den Fotos sieht das „richtig gut aus“. Und drückt schon mal auf den Auslöser.
Bob liebt Kanada, er war schon oft da – aber noch nie in den Rocky Mountains. Diese Zugfahrt ist das i- Tüpfelchen. „Prächtig, prächtig“, sagt er immer wieder – bevor sich der Zug überhaupt in Bewegung gesetzt hat.
Um kurz nach sechs geht es dann wirklich los. Ganz langsam rollt der Rocky Mountaineer aus der Pacific Central Station. Draußen scheint die Sonne, drinnen läuft die Klimaanlage. Deswegen ist es draußen auch deutlich wärmer als drinnen. Sofort werden Croissants serviert, dazu Kaffee, Tee und gute Laune. Service ist alles.

Die Leute bei Laune zu halten ist allerdings nicht so schwer. Die Stimmung ist gut, wie bei einer Klassenfahrt von älteren Semestern. 1.000 Kilometer liegen vor den Senior-Schülern – und 22 Stunden Fahrt. So lange dauert es mit dem Zug von Vancouver am Pazifischen Ozean nach Banff inmitten der Rocky Mountains. Den Betreibern des Rocky Mountaineer geht es freilich nicht um Schnelligkeit, sondern ausschließlich um den Ausblick. „Die Naturschönheit“, wie sie es nennen. Der Zug macht sogar über Nacht Halt in Kamloops, einem verschlafenen Kaff im Nirgendwo. Es gibt einen guten Grund für diese Zwangsübernachtung: Gefahren wird nämlich nur am Tag, damit man jedes Quäntchen Landschaft vor die Kameralinse bekommt.
Bob, der aus Großbritannien kommt und ziemlich gut Deutsch spricht, steht stundenlang draußen, an der frischen Luft. Die Glaskuppel sei ja schön und gut, da sieht man auch alles, aber das „pure Erlebnis“, das sei das hier: Wenn einem der Fahrtwind ins Gesicht peitscht und Berge, Wälder, Flüsse, Schluchten, Gletscher vorbeiziehen. Nicht zu vergessen: die Schwarzbären! Vier Stück wird er auf der Reise zu sehen bekommen.
„Man muss da ziemlich schnell sein“, sagt Bob und deutet prompt auf seinen Fotoapparat. Dann grinst er. „Schauen Sie sich das an!“ Sein Arm schießt in die Höhe, er zeichnet einen Halbkreis in der Luft nach. „Diese Weite, das hat man nicht in Europa. Das gibt es einfach nur hier!“
Natürlich kann man auch versuchen, die Rocky Mountains mit den

bayerischen Alpen zu vergleichen. Der Ausdruck „Freistaat XXL“ wäre wohl am passendsten. Es ist hier alles einige Nummern größer als bei uns – größere Berge, Wälder, Flüsse, Schluchten. Bob war schon mal in Bayern. Es tue ihm leid, sagt er und sieht jetzt fast ein bisschen beschämt drein, aber er müsse gestehen: „Das hier ist besser.“ Bob weiß schon nach wenigen Stunden Fahrt, dass er ein zweites Mal mit dem „Rocky Mountaineer“ reisen will – unbedingt. „Ich bin Rentner, ich habe Zeit“, sagt er und zwinkert.
Bob ist der typische Passagier: etwas älter, nicht mehr so gut zu Fuß – aber trotzdem mit einem großen Fernweh. Er genießt nicht nur die Landschaft, die an ihm vorbeizieht, sondern auch das mehrgängige Frühstück, Mittag- und Abendessen. Wenn er stundenlang an der frischen Luft stand, findet er es „wunderbar“, wenn er wieder in seinem Sitz unter der Glaskuppel Platz genommen hat, fast schon ein bisschen verträumt aus dem Fenster schaut – und bei einer netten Dame oder einem netten Herren in Uniform etwas zum Trinken ordert: „Ein Bier, bitte!“ – „Aber sehr gern!“ Vom Service schwärmt Bob natürlich auch: „Toll, toll, toll.“
Das Personal ist perfekt geschult, Tatsache ist aber, dass es vor allem auch selbst Spaß an diesem Job hat. Ian zum Beispiel. Er kommt aus Schottland, hat Philosophie studiert, danach eine Weltreise gemacht – bei der er sich in Kanada in seine jetzige Frau verliebt hat. Seitdem ist er eben hier. Und seit einem Jahr mit dem Rocky Mountaineer unterwegs. „Es ist fantastisch“, sagt er. „Du triffst hier Leute aus der ganzen Welt.“ Und: „Du bist automatisch am schönsten Ort der Welt.“
Ian hat schon viele Berge gesehen, in Europa, in Amerika, überall. Aber die Rocky Mountains, die seien „einmalig“. Das „einmalig“ wiederholt er jetzt auf Deutsch, mit britischem Akzent. Ja, man wünsche sich, dass neben den vielen Australiern und US-Amerikanern auch öfter mal Deutsche mitreisen. Bislang liegt deren Zahl bei rund zehn Prozent. Sie ist also durchaus ausbaufähig.
Als die Gäste in Banff nach rund 22 Stunden Fahrt über den roten Teppich den Rocky Mountaineer verlassen, trödeln sie fast ein bisschen – beim Start in Vancouver wollte jeder am liebsten der Erste sein an Bord. Schnell musste es gehen. Einige Tage wird Bob mit seiner Frau in Banff bleiben, danach weiterfahren zum Lake Louise, einem See in den Bergen. „Auf Wiedersehen“, sagt Bob auf Deutsch. Dann überlegt er kurz und schiebt schnell nach: „Ich sage Ihnen: Ich komme wieder!“
DIE REISE-INFOS
DER ZUG Seit 1990 fahren die Oldtimer-Züge der privaten Gesellschaft Rocky Mountaineer Vacations durch den Westen Kanadas (British Columbia, Alberta), 2012 erstmals auch nach Seattle. Derzeit sind neun Lokomotiven, 16 GoldLeaf- und 33 Red-Leaf-Waggons im Einsatz. Pro Zug kümmert sich ein 85-köpfiges Team um die Gäste an Bord. Start ist in Vancouver.
ANREISE Air Canada fliegt täglich von Frankfurt nach Vancouver; Preis ab 776 Euro.
ROUTEN Der Zug verkehrt im kommenden Jahr auf fünf Strecken:
- „Whistler Sea to Sky Climb“ (Vancouver nach Whistler).
- „First Passage to the West“ (Vancouver nach Banff/Calgary).
- „Journey through the Clouds“ (Vancouver nach Jasper).
- „Rainforest to Gold Rush” (Vancouver über Whistler nach Jasper).
- „Coastal Passage” (Seattle nach Vancouver).
SERVICE Es gibt drei Service-Kategorien im Zug: Gold-Leaf-Service: In zweistöckigen Zugwaggons mit Glaskuppel genießen die Gäste Ausblicke durch Panoramafenster. Das Essen wird in einem separaten Speiseabteil serviert. Red-Leaf-Service: Hier reist der Urlauber in Waggons mit geräumigen, verstellbaren Sitzen und bekommt Snacks und Getränke am Platz serviert. Silver-Leaf-Service: Die Gäste reisen in einstöckigen Panoramawagen mit Glaskuppel und bekommen warme Speisen am Platz serviert.
REISEZEIT Der Rocky Mountaineer verkehrt zwischen April und Oktober. Besonders schön ist die Landschaft im Juni, wenn der Schnee geschmolzen ist und die Natur in voller Blüte steht. In den frühen Sommermonaten sind auch viele Tiere unterwegs auf der Suche nach Nahrung – die Chancen, einen Bären zu sehen, stehen also sehr gut.
REISETYP Die Fahrt mit dem Rocky Mountaineer ist für Jung und Alt gut geeignet, für Kinder sind die Fahrzeiten allerdings sehr lang. Die meisten an Bord des Zuges sind Reisende „50 plus“.
ANGEBOT Über Dertour können diverse Reisen mit dem Rocky Mountaineer durch Kanada gebucht werden, z.B. eine Zug-Mietwagenreise, eine Zug-Busreise oder eine Kombinationsreise aus Zugfahrt und Kreuzfahrt. Die Routen des Rocky Mountaineer können auch einzeln gebucht werden und dazu separat Unterkünfte sowie Tagesausflüge. Eine achttägige Zug-Mietwagenreise durch den Westen Kanadas ab Vancouver mit dem Rocky Mountaineer nach Banff, dann mit dem Mietwagen nach Calgary kostet im Red-Leaf-Service ab 1.479 Euro pro Person, im Gold-Leaf-Service ab 2525 Euro pro Person. Verpflegung im Zug und Transfers zwischen den Hotels und Bahnhöfen sind inklusive. Bei Buchung bis 31. März 2012 gibt’s eine Stadtrundfahrt in Vancouver gratis. Buchung im Reisebüro mit Dertour Programm, unter www.dertour.de und unter Tel. 018 05/33 76 66 (0,14 Euro/Min.).
FRÜHBUCHER Wer bis zum 30. November 2011 eines der Rocky Mountaineer-Urlaubspakete von mindestens sieben Nächten im Gold-Leaf-Service bucht, erhält eine zusätzliche Hotelübernachtung in Vancouver, Whistler, Calgary oder Seattle dazu, einschließlich Dinner, einer Zugrundreise an Bord des Whistler Sea to Sky Climb sowie einen Souvenirgutschein im Wert von 25 Kanadischen Dollar (rund 18 Euro) – eine Ersparnis im Gegenwert von bis zu 600 Kan. Dollar (rund 430 Euro). Buchung im Reisebüro oder unter www.rockymountaineer.com.