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Masern – die unterschätzte Gefahr

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Von: Sonja Gibis

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Ein sinnvoller Stich nicht nur für Kinder: Auch Erwachsene sollten ihren Impfschutz gegen Masern prüfen. © AOK Mediendienst

In Berlin stirbt ein Kind an den Masern. Berlin leidet gerade unter einem der größten Masernausbrüche seit Jahren! Vor allem junge Erwachsene erkranken oft schwer an dem Virus. Ein Münchner Infektionsexperte erklärt, warum nur die Impfung schützt.

Seit Oktober haben sich in Berlin 574 Menschen mit Masern angesteckt. Am Montag wurde sogar eine Schule vorsorglich geschlossen. Die Masern-Welle hat die Hauptstadt fest im Griff, bei vielen Eltern geht die Angst um. Und jetzt auch noch das: Gestern wurde bekannt, dass ein eineinhalb Jahre alter Bub am 18. Februar an Masern gestorben ist. Wie er sich angesteckt hat, ist noch unklar. „Das Kind war geimpft, aber nicht gegen Masern“, sagte Gesundheitssenator Mario Czaja. Es hatte auch keine chronischen Vorerkrankungen. Trotzdem starb der Bub. Schon werden erste Stimmen laut, die sich für eine Rückkehr zur Impfpflicht aussprechen. Ist das sinnvoll? Wie soll man mit den Masern umgehen? Wie gefährlich ist das Virus eigentlich?

Wie gefährlich ist das Masern-Virus?

Wir haben einen Experten getroffen, der alle paar Wochen mit Masern-Fällen zu tun hat: Prof. Thomas Löscher von der tropenmedizinischen Ambulanz der Ludwig-Maximilians-Universität. Oft läuft es nach dem gleichen Schema ab, ein junger Erwachsener, der gerade von einer Fernreise zurückgekehrt ist, steht vor ihm. Er hat hohes Fieber, seine Augen tränen. Der Körper ist von roten Flecken übersät. „Bestimmt Dengue!“, ist so mancher überzeugt – und eilt voller Angst zum Tropenmediziner. Nicht selten steckt hinter den Symptomen kein exotischer Erreger, sondern ein alter Bekannter: das Masern-Virus.

Infizieren kann man sich damit nämlich nicht nur in jungen Jahren. „Im Gegenteil“, sagt Löscher. Als Kinderkrankheit galten die Masern nur, weil sie so hochansteckend sind, dass früher kaum eine Kindheit ohne verlief. Wer einem Masernkranken die Hand schüttelt, sich im selben Zimmer aufhält, ist meist schon der nächste Fall – wenn er ungeschützt ist. Deswegen wurden in Berlin auch gleich alle Personen untersucht, die mit dem verstorbenen Kind Kontakt hatten.

Ungeschützt – das sind hierzulande immer noch zu viele. Fast jedes Jahr setzt sich die Weltgesundheitsorganisation das Ziel, die Masern in Europa auszurotten – nur, um es erneut zu verfehlen. Hinzu kommen harte Rückschläge. So grassieren die Viren auch in den USA, wo sie seit Jahren als ausgerottet galten. Keimzelle: ausgerechnet Disneyland.

Auch in Bayern kann es jederzeit neue Fälle geben, selbst wenn man von einer Epidemie nicht sprechen kann. Kranke in Oberbayern sind eher selten: Im Kreis Dachau gab es heuer zum Beispiel drei Masernfälle, in der Stadt München zwei, im Kreis Freising und im Kreis Starnberg jeweils einen einzigen Fall, in ganz Bayern 51 Fälle (siehe Grafik). Aber: Große Ausbrüche gab es in jüngster Zeit immer wieder – und das nicht nur unter Flüchtlingen wie im Vorjahr in der Bayernkaserne.

Impflücken bei Masern

Der Grund: Noch immer sind zu viele nicht oder ungenügend geimpft. Und keineswegs alle hatten Impfgegner als Eltern. Manche haben in ihrer Kindheit sogar eine Spritze gegen Masern erhalten. „Bei einigen Prozent schlägt die erste Impfung nicht an“, erklärt Löscher (siehe unten). Vielen jungen Erwachsenen fehlt die zweite Impfung aber. Sie wird allen nach 1970 Geborenen empfohlen. „Wer älter ist, hat die Masern höchstwahrscheinlich durchgemacht“, sagt Löscher. Doch gerade bei den Über-30-Jährigen gibt es große Impflücken. Und das kann gefährlich werden, nicht nur auf einer Fernreise.

Komplikationen bei Masern

Denn die Masern sind keineswegs harmlos. Vor allem, wenn man sich als Erwachsener infiziert. In den vergangenen Jahren lag der Anteil der Über-20-Jährigen bei mehr als 40 Prozent. Da das Virus inzwischen selten ist, hatten sie damit als Kinder keinen Kontakt. Etwa der Hälfte der erkrankten Erwachsenen ging es so schlecht, dass sie in die Klinik musste. Komplikationen sind häufig, es kann zu einer Entzündung von Lunge, Mittelohr oder Gehirn kommen. „Auch in Deutschland gibt es noch einzelne Maserntote“, sagt Löscher. Das zeigt jetzt wieder der Berliner Fall. Eine Impfmüdigkeit erkennt der Infektionsexperte nicht. „Die Impfquoten sind besser als je zuvor“, sagt er. Deutschlandweit haben derzeit, wenn sie in die Schule kommen, 96,7 Prozent die erste Masernimpfung erhalten, die zweite immerhin 92,4 Prozent.

Allerdings gibt es gerade in Bayern Gegenden, in denen eine akute Impfskepsis grassiert, meist ausgehend von einigen „anthroposophisch orientierten“ Kinderärzten, wie Löscher sagt. Bemerkenswert: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind geimpft wird, nimmt mit dem Ausbildungsstand der Mutter nicht zu – sondern ab. Die Folge im reichen Voralpenland: Die Kreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen und Rosenheim gehören zu den Impf-Schlusslichtern in Deutschland.

So wichtig ist die zweite Masernimpfung

Hier erhalten weniger als 80 Prozent die zweite Masernimpfung. Und: Die Kinder werden oft später geimpft als empfohlen, sind also länger ungeschützt – und das in einem besonders gefährdeten Alter. Denn bei Kleinkindern liegt das Risiko für Spätfolgen deutlich höher: Die Viren nisten sich unbemerkt im Gehirn ein und führen Jahre später zu einem qualvollen Tod. „Ähnlich wie BSE“, sagt Löscher. Fachausdruck: subakute sklerosierende Panenzephalitis. Zum Glück seien Fälle äußerst selten. Jüngste Untersuchungen zeigen aber, dass sie gerade bei Kleinkindern häufiger auftreten könnten als bisher angenommen. Dennoch gibt es Menschen, die überzeugt sind: Besser man macht die Masern durch! „Blanker Unsinn“, sagt Löscher. Doch ist er gegen eine Impfpflicht. Kritische Patienten versucht er lieber zu überzeugen – durch Aufklärung.

Dazu gehören auch Informationen über mögliche Nebenwirkungen: Leichtes Fieber, eine Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle seien normale Impfreaktionen. „Sie zeigen, dass der Körper reagiert“, sagt Löscher. Doch kann es in Einzelfällen auch zu schweren Nebenwirkungen kommen. Anders als etwa Impfstoffe gegen Grippe oder Kinderlähmung enthalten die gegen Masern lebende Viren. Die sind zwar abgeschwächt, können sich aber noch vermehren. Passiert das, kann es zu Impfmasern kommen. Sie verlaufen meist leichter als die natürliche Erkrankung. Äußerst selten kommt es aber zu einer Entzündung des Gehirns.

Falsche Studie stärkte 1990 Impfgegner

Impfgegner wittern noch andere Gefahren: Diabetes, Allergien, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, sogar Autismus – an allem sollen Impfungen schuld sein. Bei den gefürchteten Leiden handelt es sich teils um Autoimmunerkrankungen, bei denen das Abwehrsystem den eigenen Körper angreift. Tatsächlich erkranken immer mehr Menschen daran. Und: Impfungen verändern in der Tat das Immunsystem. Sind sie also für die Erkrankungen verantwortlich? Forscher haben das gründlich untersucht. Das Ergebnis: „Es gibt dafür keine Anzeichen“, sagt Löscher.

Ende der 1990er-Jahre veröffentlichte der Mediziner Andrew Wakefield eine Studie, nach der die Masern-Impfung zu Autismus führen kann. Sie entpuppte sich als Fälschung. Das Fachmagazin „Lancet“ zog die Studie zurück, der Arzt verlor die Zulassung. Die Verunsicherung blieb: Impfgegner wiederholen das Autismus-Argument gebetsmühlenartig. „Das ist wie eine Weltanschauung“, sagt Löscher.

Im Fall der Masern ist diese allerdings gefährlich. Und das nicht nur für die ungeimpften Kinder. Jeder Ungeimpfte kann Menschen anstecken, die sich nicht schützen können. Dazu gehören gerade die Schwächsten der Gesellschaft: Säuglinge und Kleinkinder sowie chronisch kranke Menschen. Daher ist eine Impfung laut Löscher auch eine altruistische Tat. „Wer sich selbst schützt, der schützt auch andere.“

Von Sonja Gibis

Häufige Fragen zur Masern-Impfung

Impfempfehlungen für Erwachsene
ImpfungWer braucht sie?Auffrischung
Diphtheriealle Personenalle 10 Jahre
Tetanusalle Personenalle 10 Jahre
FSMEPersonen in Risikogebietenalle 3 bis 5 Jahre
Hepatitis AGefährdete Personen, etwa bei Kontakt mit Infizierten oder im Gesundheitsdienst
Hepatitis BGefährdete Personen, etwa bei Kontakt mit Infizierten oder im Gesundheitsdienstalle 10 Jahre
HPVkeine Regelleistung, ungeimpfte erwachsene Frauen nach individueller Beratung
Influenza (Grippe)Personen ab 60 Jahren, med. Personal, Schwangere, chronisch Krankejährlich mit dem aktuellen Impfstoff
KeuchhustenUngeimpfte bei der nächsten Diphtherieund Tetanusimpfung
Masernnach 1970 Geborene, Ungeimpfte und nur einmal Geimpfte
PneumokokkenPersonen über 60, medizinisches Personalnur bei bestimmten Vorerkrankungen
Polio (Kinderlähmung)alle Personen einmalig im Erwachsenenalter
RötelnUngeimpfte oder nur einmal geimpfte Frauen im gebärfähigen Alter
Tollwutgefährdete Personen, z.B. Forstarbeiternotwendig
WindpockenFrauen mit Kinderwunsch, die keine Antikörper gegen den Erreger haben

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