Ulrich Chaussy: der Wahrheitssucher mit dem langen Atem

Der Ramersdorfer Journalist Ulrich Chaussy erhält den Münchner Publizistikpreis. Der Ramersdorfer setzt sich seit über 30 Jahren hartnäckig mit dem Münchner Oktoberfest-Attentat auseinander. Er hat Hintergründe recherchiert und Zusammenhänge aufgedeckt, die sonst nicht ans Tageslicht gekommen wären.
„Ich weiß nicht, ob die Geschichte des Oktoberfest-Attentats je zu Ende erzählt werden kann“, sagt Ulrich Chaussy. Für den Journalisten sind die Fragen rund um den Anschlag vom 26. September 1980 mittlerweile zur Lebensaufgabe geworden.
Das Bomben-Attentat auf dem Oktoberfest gilt als schwerster Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. 13 Todesopfer gab es damals und 211 Verletzte, 68 davon schwer. Unter den Toten auch der Neonazi Gundolf Köhler, der als angeblicher Einzeltäter von den Ermittlungsbehörden für das Attentat verantwortlich gemacht wurde. Eine Theorie, die Chaussy erheblich anzweifelt. In seinem Buch „Oktoberfest. Ein Attentat“ hat er sich 1985 erstmals kritisch und umfassend mit der Alleintätertheorie auseinandergesetzt und den terroristischen Hintergrund des Terroranschlags geschildert. Eine Vielzahl von Publikationen folgte. Behörden und Politik zeigten aber trotz guter Argumente und offensichtlichen Ermittlungsfehlern kein Interesse an einer Wiederaufnahme.
Doch Ulrich Chaussy ist ein hartnäckiger und erfolgreicher Wahrheitssucher. Es gab Zeiten, da wurde er sogar selbst für einen Staatsfeind gehalten, weil er nach den rechtsradikalen Hintermännern des Anschlags forschte. Mit dem Spielfilm „Der blinde Fleck“ stellte er nochmals die Ungereimtheiten bei der Aufklärung des Attentats dar. Zum Kinostart im Januar 2014 legte der Journalist aus Ramersdorf die Fortschreibung seiner Recherchen als neues Buch vor. Diesmal mit dem Untertitel „Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“. Sein Vorwurf: Die Hypothesen von nicht politisch motivierten Einzeltätern hätten jahrzehntelang den Blick auf den Rechtsextremismus geprägt und würden auch dem Versagen von Polizei, Staatsschutz und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen der NSU-Verbrechen zugrunde liegen.
Der Film brachte neue Bewegung in den Fall. Nicht nur, dass der Generalbundesanwalt im Dezember 2014 mitteilte, dass man die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat neu aufrolle. Bei Ulrich Chaussy meldeten sich neue Zeugen und Informanten, die ihm Details erzählten und ihm Unterlagen zeigten, „wie ermittelt und eben auch nicht ermittelt wurde“. Darunter auch ein Münchner Polizist, der ein weiteres Handfragment abseits des Tatorts gefunden hatte. Mit einigen dieser Zeugen werde sehr bedenklich umgegangen, so Chaussy. „Man schüchtert sie ein, will ihnen nicht glauben und ordnet an, dass sie sich künftig nicht mehr an mich wenden sollen.“ Ein Interview mit den Ermittlern zu erhalten sei sehr schwierig, der Fragenkatalog sei ihm um die Hälfte gestrichen worden, erzählt der Journalist.
„Guter Journalismus braucht langen Atem. Ulrich Chaussy hat ihn“, heißt es in der Begründung der Jury zum Münchner Publizistikpreis. „Wenn die Ermittlungsbehörden seine Recherchen früher beachtet hätten – vielleicht hätte einiges Schlimme verhindert werden können.“
Die öffentliche Verleihung des Preises, der nur alle drei Jahre vergeben wird, findet im Sommer im Rahmen einer Festveranstaltung im Literaturhaus statt.
Carmen Ick-Dietl