Hier sind Künstler ihre eigenen Herren

Durch große Fensterflächen fällt der Blick auf den Hinterhof eines Industriegebäudes aus den 1970er-Jahren. Innen freilich erinnert sonst nichts mehr an die frühere Textilfabrik. Schlagzeug, Gitarre, Saxophon und Mischpult dominieren hier — im Tonstudio von Stefan Stefinsky. Entstanden ist das Reich des Musikers in Eigenleistung — wie auch die anderen gut 50 Kreativräume im „Streitfeld 33“.
„Streifeld 33“ ist ein außergewöhnlicher Ort. Wo einst Röcke, Hosen und Blusen gefertigt wurden, ist heute Kunst und Kreativität zu Hause. In vielfältigen Varianten: vom erwähnten Tonstudio über Malerei und Bildhauerei bis hin zu Konzeptkunst und Druckgrafik. Über 50 Künstler und Kulturschaffende haben in Berg am Laim eine künstlerische Heimat gefunden. Ohne Angst, demnächst wieder einmal auf „Wanderschaft“ gehen zu müssen, weil die steigenden Münchner Immobilienpreise auch vor der Kultur nicht Halt machen. Denn „Streitfeld 33“ ist quasi im Besitz der dort arbeitenden Künstler.
Möglich macht dies ein Genossenschaftsprojekt, das Susanne und David Flynn sowie der mittlerweile verstorbene Thomas Hartmann entwickelt haben. Erfahrungen aus früheren Projekten wie dem am Roeckl- platz, wo die dortigen Ateliers irgendwann – wie so oft – unbezahlbar wurden, ließen sie „amerikanisch“ handeln, wie Susanne Flynn mit einem Seitenblick auf ihren amerikanischen Ehemann erzählt. „Da macht man es selbst!“
macht man es selbst!“ Dauerhaft bezahlbarer Raum für Künstler und Kreative sollte entstehen und so wurde die Idee für das Projekt „Streitfeld 33“ geboren, das in Berg am Laim Arbeiten und Wohnen verbindet.
Die Genossenschaft „KunstWohnWerke“ bietet die notwendige Struktur. Künstler, Kulturschaffende und andere kreativ Tätige konnten unter ihrem Dach und mit vielfältigen Eigenleistungen für sich eine nachhaltige Arbeits- und Lebenssituationen schaffen. So finden heute in „Streitfeld 33“ Kreative der unterschiedlichsten Richtungen ein Zuhause. Bildende Künstler aus den Bereichen Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Druckgraphik, Performance, Architektur sind ebenso vertreten wie Kreative aus dem Graphik-, Schmuck- und Mode-Design, Autoren und Musiker.
Der ehemalige fünfgeschossige Verwaltungsbau aus dem Jahr 1971 und das gegenüberliegende viergeschossige Gebäude mit den früheren Produktionshallen bieten aber auch Raum für mehr: Performances, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Feste und Kursangebote sorgen für einen lebendigen Austausch. So war auch das ehemalige Schwimmbad im „Streitfeld 33“ bereits Schauplatz einer Uraufführung: Im Mai vergangenen Jahres war dort die Theaterperformance „Face Me“ zu sehen. Die niederländische Regisseurin Caitlin van der Maas inszenierte in der unterirdischen Badelandschaft aus den 1970er-Jahren das erste Solo der Schauspielerin Sandra Hüller. Anerkennung kommt deshalb auch von höchster Stelle: Im Rahmen der Eröffnung des Kreativprojekts sprach Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers von einem „Leuchtturmprojekt für die Stadt“.
Lob findet „Streitfeld 33“ aber nicht nur in künstlerischer Hinsicht. Umbau und energetische Sanierung, das ökologische und wirtschaftliche Konzept haben auch Bau-Fachleute überzeugt. Und so wurde „KunstWohnWerke“ in Berlin mit dem Deutschen Bauherrenpreis 2015/16 in der Kategorie „Modernisierung“ ausgezeichnet. Die Jury würdigte in ihrer Begründung insbesondere „die Realisierung des Projektes in Form einer Genossenschaft, die eine Vielfalt von Möglichkeiten für Austausch und Zusammenhalt in den konkreten Vorhaben und im Quartier befördert“. Für Susanne Flynn eine Bestätigung: „Kulturelle Wirkung erreichen bedeutet für mich nicht nur, einen Ort für Kunst und Kreativität zu schaffen, sondern eine einzigartige Kultur dieses Ortes zu entwickeln.“
Von der künstlerischen und kreativen Vielfalt an der Streitfeldstraße können sich Interessierte gerne selbst überzeugen. Eine Möglichkeit bietet das Veranstaltungsprogramm. Aktuell ist ab Freitag, 8. April, die Ausstellung „Rough Mix: Fotografien zur und neben der Kunst“ von Wilfried Petzi zu sehen. Petzi ist bekannt als Dokumentarfotograf der Kunstszene und Mitglied der Musikformation F.S.K.. Im Streitfeld-Projektraum zeigt er eigensinnige Fotogramme, Bildserien, Polaroids und Fotobücher. Die Ausstellung hat am Samstag und Sonntag, 9. und 10. April, von 14 bis 21 Uhr geöffnet, am Freitag, 15. April, von 17 bis 20 Uhr und am Samstag und Sonntag, 16. und 17. April, von 14 bis 21 Uhr.
Einmal im Jahr heißt es zudem „streitfeld offen“. Bei dieser Aktion haben die Ateliers ein ganzes Wochenende geöffnet und präsentieren sich Nachbarn wie Kunstfreunden. Diesmal soll der Termin im Herbst sein — vom 14. bis 16. Oktober. Vielleicht gibt es dann ja auch schon Neues von einem Traum, den Susanne Flynn schon wieder hegt: Der Traum von einem weiteren Gewerbeobjekt, das andere nicht verwerten können und in dem dann ein neues Projekt mit Ateliers, Wohnen und einem Laden verwirklicht werden kann.
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