Mit nun 90 Jahren kennt der Haarer Naturschützer ein jedes Tier und eine jede Pflanze. Auf Vögel richtet er jetzt nicht mehr seine Steinschleuder, sondern seine Kamera. Mehrmals in der Woche fährt der Naturfotograf mit seinem Auto raus in die Umgebung, um deren Vielfalt festzuhalten. Um ein gutes Foto zu bekommen, brauche ein Fotograf Geduld, erklärt er. Es könne schonmal sein, dass er mehrere Stunden am gleichen Ort verweilen müsse, bis sich ihm ein spannendes Motiv darbiete. Ebenso geduldig schildert er in aller Ausführlichkeit seine Lebensgeschichte. Naturschutz im heutigen Sinne habe es zu Beginn noch gar nicht gegeben, auf jeder Station sei er aber einfach immer naturmäßig mit dabei gewesen, wie Taschner sich ausdrückt. Für seine Leidenschaft war immer Zeit.
Geboren wurde Erwin Taschner 1932 in Landshut. Nach der Schule begann er eine technische Lehre, doch als er eines Tages eine Gradmelde-Hundertschaft an sich vorbeimarschieren sah, verblüffte ihn das so sehr, dass er sich direkt nach deren Zugehörigkeit erkundigte und nachfragte, ob er denn nicht beim Bundesgrenzschutz arbeiten könne. Seitdem war er beruflich viel unterwegs. Taschner begann eine Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten in Wildflecken, in der Rhön. Es gab dort einen Truppenübungsplatz, um den herum es an Pflanzen, Bäumen und Tieren viel zu entdecken gab. Er machte es also wieder ähnlich wie damals in der Schule. Wenn er nicht gerade arbeiten musste, spazierte er umher und beobachtete seine Umwelt. Auf seinen Spaziergängen begegnete er einem amerikanischen Deutschlehrer, der ihm, fasziniert von seinem Wissen, ein Naturbuch schenkte. Mit der Zeit begann Taschner zu einem wandelnden Literatur-Lexikon zu werden.
Beruflich ging es für ihn beim Nachrichtentechnischen Dienst in Rosenheim weiter. Knapp bei Kasse fuhr er per Anhalter und in Uniform dorthin. Von Fulda über Stuttgart. In Stuttgart nahm ihn ein Regierungsauto mit bis nach München. Erst während der Fahrt bemerkte er, dass er gerade zusammen mit Ludwig Erhard in einem Auto saß. Er konnte sich sehr nett mit ihm unterhalten, erzählt Taschner und Jahre später, als Taschner bei einer Adenauer-Rede aufpassen musste, dass unbefugte Personen nicht zu nahe an Konrad Adenauer herankamen, begegnete er Ludwig Erhard sogar noch einmal. Erhard erkannte Taschner sofort und sagte nur: „Aha, der Anhalter“.
Rosenheim war natürlich ein Paradies für einen Naturburschen wie Taschner. Er trat dem Rosenheimer Vogelverein bei und setzte dort Schutzgesetze für bestimmte Vogelarten durch. Besonders die Nähe zu den Bergen begeisterte ihn. Dort konkurrierten der eher CSU-nahe Alpenverein und der eher von Sozis bevölkerte Naturfreundeverein. Taschner hatte als Naturreferent immer viel mit diesen zu tun, er war aber, wie er bemerkt, so intelligent, sich in einem Verein nie zum Vorstand wählen zu lassen.
Ab 1960 dann war es vorbei mit der Reiserei. Erwin Taschner bekam eine Stelle als Werkstattleiter auf Lebenszeit. Er wurde Chef der Zentralwerkstatt für Grenzgeräte in Haar. Kaputte Funkgeräte und Ähnliches der BRD-Grenzposten wurden zu ihm nach Haar geschickt. Mit seiner gesammelten technischen Erfahrung wollte Erwin Taschner immer jedes Teil eines jeden Geräts ganz genau kennen und seine Funktionsweise verstehen. Dieser Charakterzug offenbart sich sehr oft, wenn Erwin Taschner über sein Verhältnis zur Natur redet. Erstmal begreift er sich natürlich selbst als Teil der Natur und dann möchte er alles, was sonst noch so vorkommt, die ganze Vielfalt der Flora und Fauna kennen und begreifen. Gleichzeitig ist er ein Beobachter, der weiß, dass der Lauf der Natur nicht aufzuhalten ist.
In Haar wurde ihm als Vollzeitbeamten ein Haus gebaut, doch obwohl er schon lange dort wohnte, hing er noch sehr an den Alpen und fuhr in der Freizeit meistens in die Berge. Schließlich war er aber auch in Haar wieder naturmäßig mit dabei. Im Rahmen der Agenda 2000, die bei den Bewohnern mehr Interesse für die Biodiversität wecken sollte, plante er gemeinsam mit der Vhs den Naturschaugarten am Wertstoffhof. Er macht dort heute noch Führungen. Jedes Wochenende fährt er zum Ismaninger Speichersee, unter anderem um den Vogelbestand zu prüfen und kranke Tiere zu entdecken. Und jede Woche macht Taschner Vogelfutter für die Tiere in Haar und Umgebung.
Beim ersten Telefonat mit Erwin Taschner ging zunächst seine Frau Irmgard Taschner ran. Der Erwin sei gerade im Keller und mache Vogelfutter, das träfe sich gut. Oder eher nicht. Als Erwin Taschner an den Apparat ging, sagte er kurz angebunden: „Ich habe gerade in der einen Hand den Hörer und in der anderen die Kelle für das Futter. Das ist ein patschige Angelegenheit.“ Das Telefonat wurde daraufhin verschoben, aber Taschner war natürlich bereit, wann anders ausführlich über seine Leidenschaft für die Vögel zu sprechen.
Der jugendliche Jagdinstinkt, der ist Taschner geblieben. Als er am Ende des Gesprächs seine Tierfotos zeigt, spricht er davon, wie wichtig es ist, abwarten zu können, um ein gutes Foto zu bekommen. Da müsse er schon ein bisschen nachhelfen, sonst würden die Vögel nicht herkommen und sich vor allem wohlfühlen. Wer eine Meise lange genug beobachtet, der kennt all ihre Eigenheiten im Verhalten und der hat auch den Anspruch, ein besonderes Foto von ihr zu schießen. Taschner lockt Vögel mit Futter an und dann, es kann dauern bis der richtige Moment kommt, drückt er auf den Auslöser.
Roland Friedl
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