Aber ist es nicht ein komisches Gefühl gewesen, jemanden darzustellen, der noch lebt und noch dazu der gleiche Jahrgang ist?
Das hat gut gepasst. Wir sind in der gleichen Branche. Er ist ein großer Entertainer, Geschichtenerzähler und Philosoph. So ein hochemotionales Thema zu verfilmen, war ein großes Geschenk, aber auch eine große Herausforderung und Ehre für mich.
Haben Sie ihn als rein positiven Menschen kennengelernt?
Ja. Mein Bild, das ich von ihm hatte, hat sich bestätigt. Dass der Mensch Horst Lichter so ist, wie er sich gibt, authentisch einfach. Er ist ein absolut positiver Mensch.
Wie und wo war Ihr erstes Treffen mit ihm?
Wir haben uns in München getroffen, ein halbes Jahr bevor die Dreharbeiten anfingen. Dann noch gemeinsam am Filmset. Wir hatten auch noch ein sehr langes Gespräch unter vier Augen und ich habe ihm Fragen gestellt, die ich für meine Darstellung brauchte. Da hat er mir sein Herz geöffnet. Er hat mir intensiv geantwortet, sodass ich sehr gut vorbereitet war.
Hat er Ihnen Tipps gegeben?
Nein. Er hat mir die Fragen, die ich brauchte, beantwortet. Er hat mir vertraut, dass ich damit sorgfältig umgehe. Das Vertrauen war wichtig.
War es einfach, als Münchner Schauspieler in die Haut einer rheinischen Frohnatur zu schlüpfen?
Ich habe ja all seine Bücher gelesen und über die Jahre im Fernsehen verfolgt. Er war mir keine fremde Person. Ich hatte viel gespeichert, ging als Schauspieler in seinen Dialekt rein, habe auch das Hörbuch gehört, und so seine Sprachmelodie kennengelernt.
Was genau haben Sie sich bei ihm abgeguckt?
In seinen TV-Shows habe ich seine Mimik und seine Körperhaltung gesehen. Er ist physisch sehr da. Das habe ich alles verinnerlicht, ohne ihn zu kopieren. So habe ich Horst Lichter ins Ohr gekriegt und bin dadurch nah an ihn rangekommen. Die Hauptarbeit war, das emotionale Level zu erreichen.
Spielen Sie lieber Theater, Film oder Fernsehen?
Ich würde mich immer fürs Theater entscheiden. Die Herausforderung ist eine ganz andere. Man hat das Publikum. Man spielt Peer Gynt, den Hamlet, Othello. Solche Rollen hat man ja im Fernsehen nicht. Aber umso schöner war es jetzt, die Rolle des Horst Lichter zu spielen, die wirklich einen großen dramatischen Bogen hatte. Ein Live-Charakter ist schon etwas ganz anderes. Beim Drehen hat man das nicht. Man hat keine Nähe zum Publikum und keine unmittelbare Berührung.
Ihr Urgroßvater Leopold war ja englischer Dirigent. Kommt daher die künstlerische Ader?
Ja, das kann sein. Ich habe als Kind bereits Klavier gelernt und Kontrabass, da war ich 16. Außerdem habe ich auch mal Musik studiert. Ich weiß noch, wie mir mein sehr betagter Lehrer vom Staatstheater Kassel die Tür aufgemacht und gesagt hat: „Herr Stokowski, also Ihr Name lässt ja hoffen, da muss ja was sein...“ Er hatte mit meinem Urgroßvater zusammengearbeitet. Und mein Lehrer war fasziniert, dass er einen Verwandten getroffen hat. „Sie sind ein begabter Hund,“ sagte er noch.
Steckt noch was Englisches in Ihnen?
Nee, bis auf dass ich gelegentlich internationale Produktionen mache oder auf Englisch drehe. Die englische Sprache ist eine sehr geschmeidige. Das ist immer eine schöne Sache.
Zur Person
Der Wahlmünchner Oliver Stokowski kam 1962 (im selben Jahr, in dem Horst Lichter geboren wurde) in Kassel auf die Welt. Von 1982 bis 1985 studierte er Klavier und Kontrabass bei einem Lehrer des dortigen Staatstheaters. Von 1993 bis 1996 spielte er unter Leander Haußmann und Hans Neuenfels am Residenztheater, in das er 2018 wieder zurückkehrte. Über sein festes Engagement dort ist der Schauspieler gerade in Corona-Zeiten glücklich. „Uns blieb zwar die Kurzarbeit nicht erspart, aber wir haben geprobt. Dadurch ist mir so ein großes Loch wie bei den anderen Kollegen, die nur in der Freien Szene unterwegs sind, erspart geblieben.“ Seit 2014 ist Stokowski mit der Schauspielerin Lilian Naumann verheiratet, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Die Familie lebt in Schwabing in der Nähe des Englischen Gartens.
Oliver Stokowski am Residenztheater live erleben - Hallo verlost Karten für „Das Vermächtnis“.