Gerhard Polt und Michael Well über Corona, Söder und die Kulturpolitik in München

München: Gerhard Polt und Michael Well gehen seit 40 Jahren gemeinsam auf die Bühne. Im Interview sprechen Sie über auferlegte Auftrittspausen, Markus Söder und Münchner Kulturpolitik.
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40 Jahre – das ist bei Musikern normalerweise ein Anlass für ein Best-of-Album. Sie haben sich dagegen entschieden.
Michael Well: Ganz bewusst, ja. Es sollte eine Momentaufnahme sein, die dokumentiert, dass wir auch nach 40 Jahren noch gerne zusammenspielen. Und ein Best-of würde bei uns schwierig. Was wir machen ist ja meist eine Chronik der Zeitgeschichte. Schaun’s, wer kennt denn heute noch den Streibl?
Die Kontakte und freundschaftlichen Bande zu den Toten Hosen gibt es schon länger. Das neue Album ist nun das erste, das auch beim Hosen-Label JKP erscheint.
Well: Weil wir finden, dass das gut passt. Dort sind auch andere Bands wie „Die Ärzte“ oder die „Broilers“ – Gruppen, die ganz anders sind als wir, aber mit einer guten Handschrift.
Die Toten Hosen sind große Fans der Well-Brüder
Gerhard Polt: Es gehört auch zu unseren 40 Jahren dazu. Zu zeigen, dass wir uns sympathisch sind und uns schätzen. Sie sind große Fans der Well-Brüder und probieren gerne deren Instrumente aus.
Well: Hackbrett und Zither zum Beispiel – mei! (lacht) Wir waren dafür von ihrem Nightliner angetan.
Polt: Wir sind sonst ganz sparsam mit einem Kombi unterwegs. Da war der Nightliner bei einer gemeinsamen Tour schon eine besondere Sache.
Aktuell pausiert das Tour-Leben coronabedingt.
Well: Wir wollten nicht vor 100 Leuten oder in Autokinos auftreten. Anfragen gab es viele.
Wie haben Sie die gewonnene Freizeit genutzt?
Polt: Die Wells müssen ja immer üben, damit sie die Fingerfertigkeit nicht verlieren. Da hab ich’s mit dem Textlernen einfacher.
Well: Der Stofferl (Bruder Christoph Well, Anm.d.Red.) übt wirklich jeden Tag. Ganz so fleißig bin ich nicht, aber Praxis muss schon sein. Wir sind seit 1. März nicht mehr aufgetreten. So lange pausiert haben wir noch nie.
Polt: Aber wir sind ja beide privilegiert – wohnen auf dem Land, haben einen Garten. Ich habe viel gelesen. Von Churchill die „Geschichte der englischsprechenden Völker“. Hochinteressant. Und aktuell die Geschichte aller Päpste. Gut, bis zum Ratzinger schaffe ich es nicht mehr. Aber bis 1890 möchte ich schon kommen.
Mei, der Verstorbene hat den Prozess halt trotz Anwalt verloren
Finden Sie in dieser Zeit auch Inspiration für neue Stücke?
Polt: Vielleicht. Tatsächlich habe ich mir das bei der ein oder anderen Papst-Geschichte gedacht. Da gab es einen Papst, der hat seinen Vorgänger verfemt. Der hat den bereits Verstorbenen wieder ausgebuddelt, ihn ankleiden lassen und ihn angeklagt. Dem Skelett wurde auch ein echter Verteidiger zur Seite gestellt. Aber mei, der Verstorbene hat den Prozess halt trotzdem verloren. Also hat man ihm den Skelett-Finger abgeschnitten um zu verdeutlichen, dass alle Segnungen, die er mit diesem Finger vorgenommen hat, ihre Gültigkeit verlieren. (Zu Michael gewandt:) Das sollten wir vielleicht wirklich mal verwenden. Es zeigt, wozu Menschen fähig sind.
Die Well-Brüder haben sich in den vergangenen Wochen mit musikalischen Videos an den „Coronator Söder“ gewandt...
Well: A bisserl in Form wollen wir ja bleiben und die Missachtung und Ignoranz der Politik...
Polt: Komm Michael, sag das Wort...
Well: Systemrelevant. Diese Einordnung in Systemrelevanz hat uns maßlos geärgert. Und dass es der Kulturapparat und vieles andere nicht sind. Und jetzt bietet man in München wochenlang Kultur umsonst an. Auch das ist ein schlechtes Beispiel für Kulturpolitik.
Polt: Das ist ja sicher gut gemeint gewesen. Aber dass man dadurch den Veranstaltern in den Rücken fällt, hat man halt nicht bedacht.
Was sollte sich im Sinne der Kultur ändern? Mehr Zuschüsse oder gelockerte Beschränkungen bei Auftritten?
Polt: Gelockerte Beschränkungen. Nur ein Beispiel: Wenn es wochenlang toleriert wurde, dass sich am Gärtnerplatz 2000 Leute treffen, warum muss dann im Gärtnerplatztheater die Kapazität von 640 auf 120 runtergeschraubt werden? In Spanien mussten jetzt die Diskotheken wieder schließen wegen steigender Corona-Fallzahlen. Ok. Aber Theater hatten die ganze Zeit geschlossen. Das darf man doch mal hinterfragen. Gute Künstler können ihre Miete kaum noch zahlen, aber die Lufthansa bekommt neun Milliarden Euro. Es gibt Dinge, die sind einfach nicht plausibel.
Well: Die Politik muss die Kultur dringend mehr wertschätzen und da viel energischer Konzepte entwickeln.
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