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Rendezvous mit Marlene Dietrich: Ute Lemper im Interview

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Von: Sabina Kläsener

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Ute Lemper im Hallo-Interview über „Rendezvous mit Marlene Dietrich“, ihren Geburtstag und Geschichte.
Ute Lemper im Hallo-Interview über „Rendezvous mit Marlene Dietrich“, ihren Geburtstag und Geschichte. © Russ Rowland

Progressiv, polygam, patriotisch: Marlene Dietrich war mehr als Filmstar und Sängerin. Ute Lemper erzählt ihre Geschichte in „Rendezvous mit Marlene“, das auf einem gemeinsamen Telefonat basiert. Ein Gespräch über zerbombte Städte und ihre eigene Reise. 

Frau Lemper, ich bin geschichtsinteressiert, weiß aber wenig über Marlene Dietrich. Gibt es auch für andere noch Neues zu entdecken?

Wenn Sie geschichtsinteressiert sind und Neues erfahren haben, heißt das, dass die meisten in Deutschland Marlenes Geschichte nicht richtig kennen. Natürlich war sie ein Hollywood-Star, eine Schauspielerin, eine Fashion-Ikone. Aber ihre Geschichte ist eine deutsche, politische, tragische, menschlich ergreifende.

Inwiefern?

Sie war eine Frau der Zukunft, hat eine selbstverständliche Emanzipation gelebt, die damals beispielhaft und ungewöhnlich war. Sie war gebildet, konnte mitreden. Sie hat auch die Genderfrage angesprochen, indem sie Hosen trug, rauchte, die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit verwischte. Es gab keine Mauer für sie, zwischen fraulicher Moralität und Konvention. Sie war bisexuell und polygam in ihrer Ehe – eine Progressivität, die man damals überhaupt nicht kannte.

Ihr Verhältnis zu Deutschland war schwierig.

Das Wichtigste an ihrer Geschichte ist, dass sie eine deutsche Ex-Patriotin war. Am Anfang ihrer Karriere wurde sie in Deutschland nicht beachtet. Aber Hollywood rief. Die Nazis wollten sie nach dem Erfolg des „Blauen Engels“ zurückhaben. Sie hat Nein gesagt, wusste, was damals in Deutschland gärte. Sie hat ihre deutsche Staatsbürgerschaft aufgegeben, die amerikanische gefeiert. Da haben die Nazis aufgehört, sie zurück holen zu wollen. Und Marlene hat sich bei der Armee eingeschrieben, war also Soldatin bis zum Ende des Krieges.

All das ist auch Teil Ihres „Rendezvous mit Marlene Dietrich“, dem eine persönliche Erfahrung zugrunde liegt.

Dieser Abend basiert auf einem Telefonat, das ich 1987 in Paris mit ihr geführt habe. Ich war damals 24 Jahre alt, hatte meinen Durchbruch gehabt. Sie hatte von mir gehört, ich habe ihr einen Brief geschrieben, mich für den Vergleich, ich sei die neue Marlene, entschuldigt. Und ihr auch gedankt für die Inspiration, ihren Mut. Dann hatten wir ein dreistündiges Gespräch. Es war überwältigend mit ihr zu sprechen. Es war eher ein Monolog. Sie wollte auch keine Fragen beantworten

Worüber wollte sie sprechen?

Es ging darum eine Brücke zu bauen zwischen ihr und mir, Frauen, die im Ausland Erfolge hatten, die ihre Heimat reflektieren. Bei ihr war die Melancholie sehr stark, ihre Bitterkeit. Sie hat die Literatur geliebt, die Poesie. Rilke war ihr Liebling. Es war ihre Heimat und ihre Kultur. Aber in Deutschland wurde sie nicht begrüßt, sondern weggestoßen. Für sie eine tragische Situation. Damals als junger Mensch habe ich die Tiefe dieser Tragik noch nicht erkennen können. Dafür musste ich erstmal noch gut 30 Jahre älter werden.

Ein Gedankenspiel: Was würden Sie ihr heute sagen?

Ich hätte fragen sollen, ob ich sie besuchen darf. Ihre Hände halten darf, um Auge in Auge mit ihr zu sprechen. Das wäre ein unglaubliches Geschenk gewesen. Aber in ihrer Stimme lag ihre ganze Geschichte.

Es ist eine Verschmelzung von Ihnen und von ihr – was ist Ihr Ute-Teil?

Die Ute ist überall. Ich versuche, ihren Geist zu erfassen, aber die Wahrhaftigkeit ist meine. Ich imitiere sie nicht. Ich erzähle ihre Geschichte heute weiter, mit meinem Körper, mit meinem Instrument. Eine interessante Fusion, ich bin manchmal überrascht, wie das klappt, dass ich sie und gleichzeitig ich bin.

Manche Aspekte sind heute sehr aktuell, wie das Anti-Kriegslied „Sag mir wo die Blumen sind“.

Das ist wahr. Wir arbeiten mit einer Projektion, zeigen das zerbombte Berlin. Das sieht aus wie die Ukraine heute. Der Antisemitismus ist ein wichtiges Thema, die Rechtsradikalen, die es in vielen Ländern gibt, aber in Deutschland ist es besonders prekär, wenn sie wieder aufblühen. Überall gibt es diese wiederaufkommenden nationalistischen und populistischen Gefühle, weil die Menschen sich eine Identität suchen. Verzweifelt alte Symbole auspacken, um an etwas zu glauben – leider oft an die falschen Götter.

Sie leben seit vielen Jahren in New York, haben mal gesagt, sie fühlen sich aber nicht als Amerikanerin. Marlene Dietrich hat mit ihrem Deutschsein gehadert. Wie geht es Ihnen damit?

In meinem Herzen bin ich Europäerin. Aber in dieser offenen Stadt, mit all den Einwanderern, kann ich mich ganz zu Hause fühlen. Das gute an New York ist, es gibt keine Normalität. Man muss nirgendwo hineinpassen, um nicht aufzufallen, weil hier jeder sowieso anders ist. Ich habe in Paris, London und in Italien gelebt. Überall gibt es diese Stereotypen, diese Normalität, in Aussehen, in Kleidung, wie man spricht. Und wenn man aus der Konvention herausfällt, wird man gleich angeschaut. Das gibt es in New York nicht, das hat mir den Kopf frei gemacht.

Sie stehen seit 40 Jahren auf der Bühne. Können Sie auch ohne? Wie ich gelesen habe, hat die Pandemie für Sie einiges verändert.

Die Pandemie hat mich reisemüde gemacht. Ich bin 16 Monate zu Hause geblieben, habe das Daheimleben sehr genossen. Ich wollte das schon immer mal machen, dass ich nur lebe – mit den Menschen um mich herum, meiner Familie, die ich über alles liebe. Seitdem bin ich vorsichtiger, welche Konzerte ich mache. Ich sage im Moment zu 40 Prozent Nein und werde sehen, ob ich langsam wieder mehr mache. Im Moment bin ich mit der Entscheidung glücklich.

Zum runden Geburtstag kommt eine neue CD, eine Autobiografie, ein Dokumentationsfilm. Packen Sie die 60 bei den Hörnern?

Die CD kam aus mir heraus. Beim Buch habe ich mich vorher gesträubt, mich selbst zu reflektieren, über mich zu schreiben. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Und dann habe ich angefangen und irgendwie Feuer gefangen. Es ist auch sehr therapeutisch, in die eigene Vergangenheit einzusteigen. Denn manches war schmerzvoll. Eine interessante Reise – ein Wirbelsturm der Ereignisse. Ständig umziehen. Manchmal war mir schwindelig, was alles passiert ist (lacht).

Eine Station: Sie haben die Arielle gesungen. Heuer kommt die Realverfilmung raus – sind Sie gespannt?

Nein. Ich habe kein kleines Mädchen mehr zuhause. Es war damals eine schöne Sache, die deutsche Version zu singen. Es ist eine romantische Geschichte, die ich auch meiner Tochter vorgelesen habe. Und ich fand es toll, all diese Briefe zu bekommen von den kleinen deutschen Mädchen. Die sagten: Arielle, du hast so schöne rote lange Haare, danke, dass du so schön gesungen hast. Sie dachten, ich sei die Meerjungfrau. Das war wirklich schön.

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