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Münchner Chef-Pathologe hat an über 2000 Mumien geforscht

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Von: Romy Ebert-Adeikis

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Dr. Andreas Nerlich
Dr. Andreas Nerlich © privat

Dr. Andreas Nerlich ist Pathologe und hat in seinem Berufsleben schon unzählige Obduktionen durchgeführt. Welche Aufträge ihn besonders faszinierten und warum sein Alltag nicht immer spannend ist...

München ‒ Leichen obduzieren muss Professor Dr. Andreas Nerlich heutzutage deutlich seltener als zu Beginn seiner Karriere. „Als Assistenzarzt in Großhadern waren es 500 Obduktionen im Jahr, heute sind es vielleicht noch 50“, sagt der Chef-Pathologe der München Klinik in Bogenhausen und Schwabing. Am Seziertisch ist er dennoch fast jeden Tag: Der Maxvorstädter ist auch ein anerkannter Mumienforscher. „Normalerweise sind das eher Biologen. Aber auch als Pathologe bietet sich die Forschung an: Unser Beruf ist ja, anhand von Gewebeproben Krankheiten herauszufinden.“

Dr. Andreas Nerlich ist Chef-Pathologe und hat schon an tausenden Mumien geforscht.
Dr. Andreas Nerlich ist Chef-Pathologe und hat schon an tausenden Mumien geforscht. © privat

Dabei hat Nerlich dem Ötzi genauso Geheimnisse entlockt wie altägyptischen Priestern und den Mumien der bayerischen Adelsfamilie Jordan aus dem 19. Jahrhundert. Über Letztere spricht er am Donnerstag, 16. März, beim Bayerischen Verein für Familienkunde im Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5. Der Vortrag beginnt um 18.30 Uhr. Welche pikante Verbindung Baron Jordans Tochter zu Bayerns erstem König hatte, warum Nerlich ein Schwein mumifiziert hat und wieso sein Pathologie-Alltag weniger spannend ist als viele denken...

Prof. Dr. Andreas Nerlich (65), Chef-Pathologe und Mumienforscher, von A bis Z

Alltag: Der eines Pathologen hat nichts mit dem eines Rechtsmediziners zu tun. 95 Prozent unserer Arbeit ist, am Mikroskop die Gewebeproben von Klinikpatienten – also Lebenden – zu untersuchen. Aus klinischen Gründen werden heute nur noch selten Leichen obduziert.

Binden: Ein halbes Fußballfeld würden die Leinenbinden altägyptischer Mumien von sozial höhergestellten Personen bedecken. Einfache Nilbauern wurden oft nur in eine Bastmatte eingewickelt.  

Corona: Am Anfang der Pandemie gab es die Anordnung, keine Corona-Toten zu obduzieren. Das war für mich nicht nachvollziehbar. Es wurde dann geändert und wir konnten einige Befunde erstellen, welche eine deutliche Verbesserung bei der Behandlung zur Folge hatten.

Dauer: Wenn wir heute eine Gewebeprobe bekommen, ist in 95 Prozent der Fälle der Befund schon am nächsten Tag fertig.

Ekel: Als ich vor fast 40 Jahren meine ersten Obduktionen hatte, konnte ich einige Monate lang in keine Metzgerei gehen. Dieser Geruch... Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran.

Fledderei: Natürlich gibt es immer Diskussionen, ob wir Leichenfledderei betreiben. Aber meine Arbeit hat ja einen Sinn. Der Blick zurück lehrt uns etwas für heute und morgen.

Gewebeproben: Pro Jahr untersuchen wir in Bogenhausen 140 000 Proben.

Herodot: Seine Schriften sind die wichtigste Quelle über die altägyptische Mumifikationstechnik: Erst kamen die Organe raus, dann wurde der Körper ausgetrocknet und mit Harzen und Ölen versiegelt. Anschließend wurde eingewickelt und Bitumen aufgetragen.

Institut: Ich bin seit 2001 Leiter des Pathologie-Instituts in Bogenhausen, seit 2005 auch für Schwabing. Wenn ich in drei Monaten aus dem Beruf ausscheide, kommen beide zum Institut München-Süd dazu. Wenn der Klinik-Neubau in Bogenhausen steht, soll dort die Pathologie-Zentrale sein.

Jordan-Gruft: 2011 sollte die Jordan-Gruft in Dötting bei Ingolstadt saniert werden. Darin waren fünf Särge von 1859, zum Teil mit echten Mumien. Ich wurde gefragt, ob wir diese eine Zeit lang aufbewahren können. Wir wollten die Überreste des Barons Wilhelm von Jordan und seiner Familie aber dann natürlich auch untersuchen.

Konfrontation mit dem Tod: Wir leben leider in einer Zeit, in welcher der Tod gedanklich oft weit weggeschoben wird. Ich würde mir wünschen, dass wir damit lockerer umgehen können.

Leben nach dem Tod: Daran glaube ich, weil ich mit der christlichen Denkweise stark verbunden bin. Aber wie das dann aussieht... keine Ahnung!

Mumienschwein: Wir haben überprüft, ob die Anleitung von Herodot zur Mumienpräparierung wirklich funktioniert. Mit einem Toten fand ich das ethisch nicht vertretbar, also bekamen wir von der Tierzuchtanstalt der Uni ein Schwein, das sowieso krank war. Es ist jetzt seit zehn Jahren als Mumie hier im Keller.

Niederbayern: Ich bin in Landshut geboren und in Zwiesel im Bayerischen Wald aufgewachsen. Nach München kam ich zum Studieren.

Oetzi habe ich mit einem Kollegen in Bozen beprobt. Wir haben herausgefunden, dass er schon Tage vor seinem Tod eine tiefe Wunde an der Hand hatte. Auch die Überreste des „Riesen vom Tegernsee“ und der Tegernseer Klosterbrüder Adalbert und Otkar habe ich untersucht.

Prinzessin Wackerstein ist die einbalsamierte Kindermumie aus der Jordan-Gruft. Wir konnten belegen, dass das Mädchen die Tochter Jordans war – aber Bayerns erstem König Max I. Joseph als sein Kind untergejubelt wurde.

Quelle: Menschliche Überreste schönen nichts, darum sind sie die authentischste Quelle des Vergangenen.

Reisen: Ich habe 25 Jahre lang meinen Urlaub bei Ausgrabungen in Ägypten verbracht. Jetzt bin ich vor allem in Südbayern und Oberösterreich unterwegs.

Sammlung: Im Schwabinger Pathologie-Institut haben wir eine Lehrsammlung mit Gewebematerial von OPs und biologischen Präparaten.

Teuer: Unsere Mumienforschung wird von einem eigenen Verein, Archeomed, gefördert. Er bezahlt etwa technische Analysen. Die Arbeit machen wir großteils kostenlos.

Ueberraschung: Mein persönliches Highlight ist eine Zehenprothese, die wir 1998 bei einer ägyptischen Frauenmumie gefunden haben. Sie war so kunstvoll und funktional angefertigt, dass die Frau damit lange, wahrscheinlich sogar Jahre gelebt hat.

Vortrag: Beim Verein für Familienkunde spreche ich erstmals. Bisher war ich nur zwei Mal beim Familienforscher-Stammtisch in Schrobenhausen zu Gast.

Work-Life-Balance bei mir ist wunderbar. Die Paläopathologie ist ja mein Hobby. Meine Untersuchungen mache ich zwar zum Teil im Institut, aber natürlich außerhalb der Arbeitszeit. Das muss man gut organisieren.

X-Ray: Das Röntgen ist für uns Mumienforscher eine gute, weil zerstörungsfreie Technik zur Untersuchung. Noch lieber ist mir die Computertomographie, weil die 3D-Aufnahmen zusätzliche Infos liefern. Bei der Untersuchung der Mädchenmumie aus der Jordan-Gruft haben wir einmal sogar einen Gepäck-Scanner am Flughafen nutzen dürfen.

Yes: Meinen Doktor habe ich am Max-Planck-Institut für Biochemie gemacht und dort entdeckt, wie spannend medizinische Forschung ist. So kam ich darauf, Pathologe zu werden.

Zivilisationskrankheiten wie Gefäßverkalkungen hat es schon im alten Ägypten gegeben – und zwar gar nicht so selten, wie wir heute wissen.

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