Zwischen Krieg, Aufnahmestopp und Einzigartigkeit: die Ukrainische Freie Universität in München

Prof. Dr. Maria Pryshlak ist Rektorin der Ukrainischen Freien Universität in München. Im Hallo-Interview redet sie über den Krieg, die Einzigartigkeit und Probleme der Uni.
München ‒ Seit dem 24. Februar 2022, der Invasion Russlands in die Ukraine, ist an der Barellistraße 9 in Neuhausen vieles anders. „Neben unserem Bildungsauftrag haben wir jetzt auch einen humanitären“, sagt Maria Pryshlak. Die 72-Jährige ist Rektorin der Ukrainischen Freien Universität (UFU) – der einzigen ukrainischen Diaspora-
Hochschule weltweit. Spendensammlungen, Sprachkurse und Spielangebote für Flüchtlingskinder haben ihre Studenten aufgebaut. Zumindest die, die nicht in Luftschutzbunkern oder an der Front ausharren müssen. Wie der Hochschulbetrieb in Kriegszeiten aussieht, wie die UFU überhaupt nach München kam und welche besondere Bibliothek sie beherbergt, verrät die in München geborene US-Amerikanerin von A bis Z
Prof. Dr. Maria Pryshlak (72), Rektorin der Ukrainischen Freien Universität, von A bis Z
Ausnahme: Es gibt weltweit keine andere Uni außerhalb der Ukraine, in der auf Ukrainisch gelehrt wird.
Bibliothek: Wir haben deutschlandweit die meisten Materialien zur Ukrainistik – mit seltenen Büchern und einigen sehr seltenen Karten. Teil der Bibliothek ist auch unser Archiv, mit einer einzigartigen Sammlung von Dokumenten der Diaspora-Community vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute.
Circa 100 Studenten hatte die UFU, als ich hier 2012 anfing. Jetzt sind es 474, die meisten direkt aus der Ukraine. Seit der Invasion Russlands hat sich die Zahl der Studenten mehr als verdoppelt. Wir mussten jetzt die Aufnahme stoppen. Uns fehlt der Platz.
Dreisprachig: Etwa 60 Prozent unserer Kurse sind auf Ukrainisch. Der Rest auf Deutsch und Englisch.
Engagement: Ich bin voller Ehrfurcht für das, was unsere Studenten für die ukrainischen Flüchtlinge tun. Einige standen tagelang an den Bahnhöfen, um den Menschen zu helfen. Später wurden Spenden gesammelt, für Medizin und Krankenwagen für die Ukraine. Und wir haben ein Hilfszentrum aufgebaut.
Frei in unserem Namen, steht für die Freiheit von politischem Einfluss, aber auch Freiheit, zu denken und zu reden.
Geschichte & Politikphilosophie: In den Fächern habe ich an der Columbia University in New York meinen Doktor gemacht.
Haus: Lange war die UFU in München in Bogenhausen. Seit 2008 sitzen wir an der Barellistraße in Neuhausen – hier ist aber nur die Verwaltung und Bibliothek. Die Klassenzimmer sind seit vergangenem Jahr am Münchner Tor in Schwabing.
Internationaler Austausch ist für jeden ein Muss. Er weitet das eigene Weltbild, lehrt Respekt und Toleranz.
Journal: Von 1986 bis 1989 war ich Chefredakteurin eines Fachjournals, das sich mit kommunistischen Bewegungen weltweit beschäftigt hat.
Krieg: Aktuell haben wir hybride Kurse. Aber als die ersten Bomben fielen, mussten wir das Semester unterbrechen. Einige unserer Studenten waren in der Ukraine, dort hat sie der Krieg gefunden. Etwa 110 Studenten sind noch dort. Für sie wird es wegen der Störungen der Strom- und Internetversorgung immer schwieriger, das Studium fortzusetzen.
Lehrfächer: Anfangs lag der Fokus der UFU darauf, die Ukrainistik in Lehrpläne zu integrieren. Heute bieten wir Kurse von Kunst bis hin zu BWL und Rechtswissenschaften.
München: Ich bin in München geboren, nachdem meine Familie aus der Nähe von Lwiw über die Slowakei und Österreich vor der sowjetischen Armee geflohen ist. Generell wurde München nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Zentrum der Ukrainischen Diaspora – vor allem für intellektuelle und kulturelle Kreise.
Nothilfe von 100 000 Euro hat die UFU im März 2022 vom Bayerischen Wissenschaftsministerium bekommen. Ein Teil davon deckt die Kosten für unsere neuen Räume am Münchner Tor. Den Rest haben wir für die Unterbringung unserer Studenten genutzt.
Odyssee: Gegründet wurde die UFU 1921 in Wien, nachdem einige führende Politiker aus der Ukraine geflohen waren. Nur ein halbes Jahr später ging sie nach Prag, wo man mit der Karlsuniversität kooperierte. Als sich 1945 Sowjet-Truppen näherten, entschieden die Professoren der UFU, sich zu trennen. Ein Teil ging nach München. Viele andere wurden in Prag verhaftet..
Private Uni: Für ein Semester zahlen die Studenten 600 Euro, das deckt die Kosten eigentlich nicht. Aber momentan können viele auch das nicht bezahlen. Wir helfen, wo es geht.
Qualifikationen: Wir bieten nur Master- und Doktor-Programme an.
Russische Hacker: Mein Computer wurde zweimal gehackt – der UFU-Server bisher zum Glück nicht.
Studentenwohnheim: Eines unserer größten Probleme. Die Ridna-Schkola in München hat einige Zimmer für Studenten, aber lange nicht genug. Wir sind in Kontakt mit dem Studentenwerk und hoffen, dass es bald seine Häuser in Freimann saniert hat und wir rein können.
Trauma-Hilfe: Vor neun Monaten haben wir ein Programm für traumatisierte Mütter und Kinder aus der Ukraine gegründet. 14 Pädagogik-und Psychologie-Studenten betreuen unter Aufsicht ihrer Dozenten im Monat bis zu 350 Menschen. Für die Kinder gibt es Spiel- und Leseangebote, für die Mütter Gesprächsrunden.
Unterstützung aus der Ukraine bekommen wir nicht. Die gab es auch nie. Wir sind eine bayerische Universität.
Volluniversität sind wir seit 1978. Das heißt, bei uns kann man auch habilitieren. Allerdings werden die Abschlüsse der UFU nicht überall sofort anerkannt.
Washington und Warschau: An der Georgetown-Universität in Washington war ich 22 Jahre lang Dozentin und habe dort Programme für Osteuropa und Eurasien gestartet. Danach war ich Präsidentin der Lazarski-Universität in Warschau.
Xtreme: Bildung ist in diesen Zeiten extrem wichtig. Ohne sie gibt es keine Hoffnung für eine bessere Zukunft. Viele UFU-Studenten wollen das Wissen, das sie hier bekommen, nutzen, um die Ukraine wieder aufzubauen.
Yankies-Fan bin ich, weil mein Bruder einer ist und wir in New York aufgewachsen sind. Persönlich schaue ich aber lieber Tennis oder Fußball als Baseball.
Zensus: Unsere Studenten sind in der Regel etwas älter als an deutschen Unis, zwischen 28 und 42 Jahren. Viele haben schon Abschlüsse oder ein eigenes Unternehmen und wollen sich noch weiterbilden. Sie wissen genau, was sie wollen und brauchen.
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