„Ich warte noch auf mein zweites Münchner Zuhause“ ‒Anne-Sophie Mutter im Interview

Kameras begleiten die Violinistin seit der Kindheit, nun blickt der Dokumentarfilm „Vivace“ zurück. Man erlebt die Münchnerin beim Wandern und im Gespräch mit von ihr sehr geschätzten Menschen. Warum es trotzdem nicht nur um sie geht, verrät sie hier.
Frau Mutter, wie kam es zu diesem Film?
Ich fand die Möglichkeit, von mir sehr geschätzte Gesprächspartner mit an Bord zu nehmen, eine tolle Gelegenheit – um Zeit mit Roger Federer zu verbringen (lacht). Ich wollte einfach den Fokus weg von mir auf andere Menschen richten. Es ging mir darum, eine Breite von Zuschauern zu erreichen, die mir als Klassikkünstlerin bedauerlicherweise weitestgehend verwehrt bleibt.
Warum bleibt es Ihnen verwehrt?
Es geht nicht um mich, sondern die Musik an sich, die zu sehr von der Politik vernachlässigt wird. In den Schulen und Kindergärten, im öffentlichen Leben, wie man in der Pandemie an der eiskalten Art gesehen hat, mit der man uns abgespeist hat.
Im Film sagen Sie, dass Sie die klassische Musik zurück in die Mitte der Gesellschaft führen wollen. Warum ist sie entrückt?
Da gibt es viele Gründe, warum Kunst weniger im Mittelpunkt der Gesellschaft steht als vor 50 Jahren. Ganz bedeutsam ist, dass der Musikunterricht aus dem Schul-Lehrplan so weit zurückgestuft wurde, dass er keine Wirkung mehr hinterlässt. Man müsste darüber nachdenken, wie zielführend es ist, Werke zu analysieren, wie es in weiterführenden Schulen der Fall ist. Ob es nicht mehr Sinn macht, die Freude an der Musik durch Anhören, durch Besuche – was zum Teil passiert, aber nicht flächendeckend – zu fördern.
„Vivace“ ist eine Rückschau auf Ihr Leben. Was waren die beruflichen Wendepunkte?
Jede Uraufführung, jedes Werk, das mir gewidmet wurde, war für mich als Künstlerin eine Öffnung einer neuen Dimension. Dazu gehören auch die Filmthemen aus Star Wars oder Harry Potter, die John Williams für Geige umgeschrieben hat. Die Zusammenarbeit mit Komponisten war und ist für mich unglaublich befruchtend, teilweise auch sehr anstrengend, weil du jedes Mal eine neue Sprache lernst. Da kommt man an seine Grenzen. Das ist auch frustrierend. Aber meine Frustrationsgrenze ist relativ hoch, da muss schon viel passieren, dass ich aufgebe – obwohl, Aufgeben gibt es nicht.
Und im Privaten?
Die Geburt meiner Kinder war natürlich etwas unfassbar Schönes. Es gibt sicher auch ein tolles Leben ohne Kinder, aber ich bin hochbegeisterte Mutter.
Ihr Kinder waren klein, als Sie zur Witwe wurden. Es war bestimmt nicht leicht, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen – unter den Augen der Öffentlichkeit. Auch heute noch scheint es, dass es Mütter, egal wie, nur falsch machen können.
Das Konstrukt ist nicht aus den Köpfen rauszubekommen. Es gibt viele alleinerziehende Mütter oder Väter, die sich nicht immer freiwillig als Hauptverdiener teilweise von den Kindern trennen müssen, um Geld zu verdienen. Ich erinnere mich an Abende, da kamen Frauen backstage, haben mit mitleidsvollem Ton gefragt: ‚Wer passt denn jetzt zu Hause auf Ihre Kinder auf?‘ Als ob ich die zu Hause im Schrank einsperren würde. Da dachte ich mir: ‚Gerade du als Frau müsstest da mehr Empathie aufbringen‘. Es ist auch heute noch für Frauen nicht leicht, da wir kein optimal ausgebautes Versorgungsnetz haben. Da müsste noch viel mehr passieren, dass Alleinerziehende es einfacher haben und sich beruflich entwickeln dürfen.
Als ein zweites Zuhause haben Sie in einem früheren Interview den Gasteig beziehungsweise die Philharmonie bezeichnet.
Hab ich das gesagt? Das wäre sehr traurig, wenn das so wäre. Ich warte noch auf mein zweites Münchner Zuhause, aber Herr Söder gibt es uns ja nicht.
Darauf wollte ich hinaus. Sei es der neue Konzertsaal oder die Gasteig-Sanierung: Es sieht bitter aus. Was bedeutet das für eine Kulturstadt wie München?
So ein Saal ist eine Begegnungsstätte für Musik aller Couleur – auch für Jugendarbeit und Kinderkonzerte. Ein älterer Bau ist nicht mehr zeitgemäß. Zeitgenössische Komponisten arbeiten viel mit Electronics. Auch ich beschäftige mich damit, wie ich das in ein neues Werk einbauen kann. Es wird viel mit Visualität gearbeitet, auch in der klassischen Musik. Das bleibt uns alles verwehrt, wenn wir im Herkulessaal hängenbleiben oder in einem anderen tradierten Haus.
Optisch gilt der Gasteig für viele nicht gerade anziehend.
Über die moderne Architektur, wie bei der Elbphilharmonie oder der Oper in Sydney, erreichst du eine andere Bandbreite an Interessenten. Die wollen das Gebäude erobern. Zum Abschluss gehen sie in ein Konzert, um den Saal zu erleben. Es gibt mannigfache Gründe, warum so ein Begegnungsort, vor allem nach Corona, so wichtig ist. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Da müssen wir uns nicht über gute Akustik unterhalten, das ist nur ein kleiner Teil eines Instruments. Letzten Endes soll das Instrument Menschen unterschiedlichster kultureller und religiöser Herkünfte zusammenfinden lassen. Darum ist eine solche Begegnungsstätte in München überfällig.
Zur Person
Ein Tag ohne Musik ist für Anne-Sophie Mutter ein entspannter Tag, eine Möglichkeit, ein Glas Wein zu trinken, wie sie im Interview verrät. „Aber dann freue ich mich auf den nächsten Tag mit Musik.“
Seit 47 Jahren steht die Violinistin, am 29. Juni 1963 in Rheinfelden geboren, auf der Bühne. Mit 13 Jahren von Dirigent Herbert von Karajan entdeckt, ist sie seit den 80er-Jahren international bekannt. Als Künstlerin bezieht sie auch Position: „vor allem für die Menschen, und zwar für alle – für das Recht auf Kunstausübung und den Kunstgenuss.“
Aus der Ehe mit Detlef Wunderlich, der 1995 nur sechs Jahre nach der Hochzeit starb, hat die 59-Jährige zwei Kinder. Seit 2021 ist sie Präsidentin der Stiftung Deutsche Krebshilfe.
Sie wohnt in München, wo sie sich trotz ihrer Bekanntheit frei bewegen kann: „Die Münchner sind eh ganz cool.“
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