„Bei den Vorbildrollen muss sich noch viel tun“ ‒ Komponistin Martina Eisenreich im Gespräch

Als erste Frau gewann Martina Eisenreich den Deutschen Filmmusikpreis. Jetzt sitzt sie selbst in der Jury des Musikautorinnenpreises. Hallo hat mit der Erdinger Komponistin über Karriere-entscheidende Momente in einer von Männern dominierten Branche gesprochen.
Frau Eisenreich, können Sie noch fernsehen, ohne besonders auf die Musik zu achten?
Das ist tatsächlich schwierig. Aber meine Begeisterung hat nicht nachgelassen, nur weil ich Filme mit einem anderen Blick sehe.
Was macht gute Filmmusik aus?
Ich würde sagen, sie sollte unterbewusst wirken. Und so ihren Beitrag leisten, um die Geschichte zu erzählen.
Ein musikalisches Understatement also?
Nein, mit unterbewusst meine ich nicht, dass man die Musik nicht merken soll. Sondern dass sie Assoziationen weckt, denen man sich nicht so bewusst ist, wenn man den Film schaut.
Das heißt?
Die Musik bestimmt den Erzählverlauf mit – und der Zuschauer ist sich nicht bewusst, dass er gerade gelenkt wird. Ist die Situation ironisch gemeint, zu welcher Figur fühle ich mich hingezogen? All das kann die Musik steuern. Sie kann Kälte erzeugen, Ungereimtheiten aufzeigen oder herstellen. Sie kann aber auch in die Irre führen.
Wie gehen Sie als Komponistin mit Klischees und Erwartungen um? Etwa der Vorahnung, dass gleich etwas passiert, wenn die spannenden Töne erklingen…
Das hängt vom Genre des Films oder dem Medium ab. Es gibt Fernsehformate, bei denen die Zuschauer mehr begleitet werden. Man betont die Dinge also mehr. Das wird oft angekreidet: Die Musik hat ja alles viel zu früh verraten! Aber bei manchen Formaten gehört das zum Spiel dazu. Bei anderen darf man das aber auf keinen Fall machen. Aber eine Wertung, was besser ist, möchte ich nicht geben.
Wie finden Sie denn die „Filmkonzerte“, die es derzeit häufig gibt, bei denen Orchester den Film auf der Leinwand begleiten?
Super! Es ist spannend, weil die Leute sehen können, welche Kraft Musik entwickeln kann und warum sie so emotional ist. Man merkt, wie viel Ausdruckskraft in einem Musiker steckt… Und wenn dann 60 bis 80 im selben Moment dasselbe wollen. Wunderbar!
Das Menschliche tritt in den Vordergrund.
Ja, wobei es manchmal auch etwas enttäuschend sein kann. Wenn man die großen Kinomusiken kennt, die mit Elektronik und Bässen verstärkt wurden, dann hat man manchmal das Gefühl, es fehlt etwas. Filmmusik ist eben weit mehr als ein Live-Orchester. Aber die Konzerte beweisen auch, dass sich die Grenzen aufweichen. Zu anderen Genres, zum Audiovisuellen. Das ist die Kunstform der Zukunft für mich.
Sie haben als erste Frau den deutschen Filmmusikpreis gewonnen. Sind Sie sich der Männer-Domäne stets bewusst?
Ja, sehr. Früher dachte ich, vielleicht wollen das manche Frauen nicht so, ich habe mich über das Alleinstellungsmerkmal gefreut. Aber mit wachsender Erfahrung sehe ich das weit problematischer. Wenn ich meine Kinder zum Musikunterricht bringe: Überall hängen diese Tafeln mit den größten Komponisten. Immer Männer. Der Geniebegriff ist männlich konnotiert. Dass ich nach allem, wie ich geprägt wurde, Komponistin werden wollte, muss ich meinen Eltern hoch anrechnen. Bei den Vorbildrollen muss sich noch viel tun, damit junge Mädchen überhaupt auf die Idee kommen, das machen zu wollen.
Haben Sie Mädchen?
Ich habe drei Jungs. Die mich alle schon auf diese Situation angesprochen haben. Mein ältester kam einmal aus der Schule und meinte: Mama, ich glaube, du bist ja gar nicht Komponistin, das sind ja Männer! Das zeigt einem, wie unwirklich das immer noch ist. In meinen Anfangszeiten wurde ich häufig für romantische Produktionen angefragt. Oft haben Entscheider gesagt: Ich frage dich, wenn ich einen Märchenfilm habe. Ich musste es mir hart erarbeiten, dass ich Krimis vertonen darf.
Und jetzt vertraut man auf Ihr Urteil – Sie sitzen aktuell in der Jury zum Musikautorinnenpreis. Wie beurteilt man die Musik anderer?
Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Es entstehen große Diskussionen, es ist ein Zuhören, ein Hineinversetzen. Die Jury-Mitglieder nehmen die Aufgabe sehr ernst. Man entscheidet über Karrieren und es gibt viele, die den Preis verdient hätten. Eine Eingrenzung kann man aber nur gemeinsam finden.
Damit der persönliche Geschmack außen vor bleibt.
Ja. Jeder versucht herauszufinden, was nur Geschmackssache ist. Außerdem zeichnen wir ja die Autorinnen aus – die Menschen im Hintergrund, nicht die Interpreten. Da fragen wir uns: Wen wollen wir nach vorne stellen?
Zur Person
Ob im Fernsehen, im Kino, bei Radiohörspielen oder im Konzertsaal: Die Komponistin Martina Eisenreich schreibt Musik, die überall ankommt. Für die Musik zum Tatort „Waldlust“ gewann sie 2018 den Deutschen Filmmusikpreis, 2022 war ihr Score zum ARD-Krimi „Lost in Fuseta“ erneut nominiert. Auch als Violinistin und Dirigentin ist die Erdingerin erfolgreich: „Als Komponistin kann man alles aufs Papier schreiben. Aber die Interpretation ist der zweite Teil. Sie kann das Publikum berühren oder alles kaputt machen.“ Mit ihrem Mann, dem Schlagzeuger Wolfgang Lohmeier, hat sie drei Söhne.
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