Referee Felix Brych über seine Rolle bei der EM 2024, Jung-Schiedsrichter und München als Heimat

Felix Brych zählt zur Elite der Fußball-Schiedsrichter und ist weltweit bekannt. Im Interview spricht er über seine Karriere, München und Referee-Nachwuchs.
München ‒ Fast 800 Fußballspiele hat er gepfiffen. Dabei verteilte er über 2700 gelbe Karten und knapp 150 Platzverweise. Er wurde fünfmal Deutschlands sowie zweimal Welt-Schiedsrichter des Jahres und hat auf beinahe allen Kontinenten eine Partie geleitet: Felix Brych vom SV Am Hart aus München ist einer der erfolgreichsten Referees, national wie global. Jetzt nimmt er für die Stadt München eine besondere Rolle ein: Zur Heim-Europameisterschaft (EM) 2024 wird Brych „Host Town Botschafter“. Außerdem veröffentlicht er Ende April seine Biografie „Aus kurzer Distanz“. Im Hallo-Interview, zu dem der Schwabinger in die Redaktion kam, spricht er von A bis Z über seine Funktion bei der EM, große Spiele, schwere Momente sowie seine Verbundenheit zur Heimat München.
Felix Brych (47), Host City Botschafter der EM 2024 in München und Welt-Schiedsrichter, von A bis Z
Altersgrenze: Ich bin 47. Eigentlich wäre im August für mich Schluss als Schiedsrichter. Solange ich mich gesund fühle und Spaß habe, möchte ich weitermachen. Darüber spreche ich mit dem DFB. Der Verband zeigt sich offen.
Botschafter für München bei der EM 2024 zu sein, bei Vorbereitung und Durchführung zu helfen, ehrt mich. Dafür will ich mein Netzwerk an Kontakten nutzen.
Champions-League-Finale 2017 war das größte Spiel, das ich leiten durfte. Gott sei Dank qualifizierte sich der FC Bayern nicht, dann hätte ich nicht pfeifen dürfen (lacht).
Dickes Fell: Als Schiedsrichter wird man oft hart angegangen. Das muss man abkönnen, sonst zerfrisst es einen. Mir hilft neben einem Sportpsychologen auch mein persönliches Umfeld, Familie, Freunde, Teammitglieder.
Erfolg als Schiedsrichter wird nicht per Beliebtheitsskala gemessen. Wenn die Entscheidungen gerecht sind und sich keiner beschweren kann, war die Leistung gut.
Film-Fan bin ich eigentlich nicht so sehr. Seit dem Ende meiner internationalen Karriere 2021 habe ich aber viel mehr Zeit zum Schauen. Ein guter Film ist für mich „Auf der Flucht“ mit Harrison Ford. Ich lese jetzt auch viel mehr.
Gleichstellung: Ich finde es richtig, dass bei der Weltmeisterschaft in Katar Schiedsrichterinnen Spiele geleitet haben. Stéphanie Frappart und ihr Team haben bei der deutschen Partie gegen Costa Rica einen tollen Job gemacht. Ich habe ihr per SMS gratuliert.
Heimatverein: Zum SV Am Hart habe ich immer noch guten Kontakt. Meine alte Mannschaft lädt mich regelmäßig zu Stammtischen ein.
Internationale Karriere habe ich beendet, weil ich alles erreicht habe. Nach der tollen EM 2021 war es Zeit, aufzuhören. So habe ich auch mehr Zeit für Freunde und Familie.
Jugend: Schon Spiele meiner Schulklasse habe ich gepfiffen. Ich wollte immer, dass der Richtige, weil Bessere, gewinnt. Mein Vereinstrainer motivierte mich, die Schiedsrichterprüfung abzulegen.
Katar: Die Gruppenphase der WM habe ich kaum verfolgt. Erst ab den K.O-Spielen habe ich eingeschaltet. Die Fußballpause hat mir gut getan. Wobei ich natürlich die DFB-Spiele geschaut habe.
Lieblingsteam habe ich keines mehr. Früher habe ich die Spiele aller Münchner Mannschaften, Bayern, 1860 und Haching, verfolgt und mitgefiebert. Durch meinen starken Fokus auf den Schiedsrichterjob gehe ich heute aber neutral in alle Spiele.
Monaco Franze: Als Schwabinger bin ich natürlich großer Fan des „ewigen Stenz“. Neben dem Witz fasziniert mich auch, die Straßen von damals verglichen mit heute zu sehen.
Nationale Einschränkungen: Pflichtspiele der DFB-Elf oder deutscher Teams in internationalen Wettbewerben durfte ich als Deutscher nicht pfeifen. Das gilt auch regional: Als Münchner kann ich keine Partien des FC Bayern oder des TSV 1860 leiten. Bei Freundschaftsspielen gilt das nicht.
Olympia 2012 in London war für mich ein großes Highlight. Als Schiedsrichter waren wir in der Stadt, nicht im Olympischen Dorf, beheimatet und haben alles hautnah mitbekommen. Außerdem werden eher Schiedsrichter-Talente für Olympia nominiert. Für mich war der Zeitpunkt ideal.
Phantom-Tor: Als Stefan Kießling 2013 den Ball durch ein Loch im Außennetz ins Tor köpfte und ich den Treffer gab, wurde ich viel kritisiert. Die nachfolgenden Wochen waren für mich wahnsinnig schwer. Durch gute Leistungen konnte ich dem Druck aber standhalten.
Quallexd001 ist ein junger Referee, der in sozialen Netzwerken aktiv ist. Ich habe mich stets aus Social Media herausgehalten und bin damit gut gefahren.
Rekorde: Es freut mich, dass ich die meisten Einsätze bei Champions-League-Spielen oder bei einer einzelnen EM habe. Jeder Rekord ist für mich ein erreichtes Ziel und eine Motivation für kommende Generationen.
Schwabing ist mein Viertel. Hier wohne ich, bin auch zur Schule gegangen. Ich bin gerne im Englischen Garten und an der Münchner Freiheit.
Training, Regeneration und gute Ernährung sind essenziell, um als Schiedsrichter fit zu bleiben.
Umgang mit Spielern ist entscheidend. Es ist wichtig, einen Draht zu ihnen aufzubauen. Nur weil ich eine „Kann“-Entscheidung gegen sie pfeife, bin ich nicht gegen sie. Weil ich das vermittle, hatte ich auch mit Maik Franz oder Sergio Ramos nie Probleme.
VAR: Für mich ist der Videoassistent eine sinnvolle Ergänzung. Jedes Jahr korrigieren wir knapp 100 Entscheidungen. Beim Phantom-Tor hätte er mir sehr geholfen.
Weltweit durfte ich bereits Spiele leiten. Ich war auf fast allen Kontinenten aktiv. Besonders waren für mich neben internationalen Partien auch Einladungen der Verbände aus dem Iran zum Teheran-Derby, Ägypten zum Kairo-Derby oder zu Spielen in Saudi-Arabien.
X-mal habe ich Spielern schon gesagt: „Bleib ruhig“. Auch „Weiter geht’s“ zum Motivieren nutze ich oft.
Youngster: Leider verlieren wir viele junge Schiedsrichter. Dazu tragen Vorfälle wie der mutmaßliche Würgegriff eines Spielers gegen den Referee bei der U17-Partie Murnau gegen Kirchheim bei. Man muss ihr Selbstbewusstsein stärken. Schaffen sie das erste Jahr, bleiben sie meist auch.
Zukunft: Bei meinem Abschied werde ich stolz auf meine Karriere blicken. Eventuell pfeife ich noch beim SV Am Hart.
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