Von wegen Schmuddelkram: „Consent Calling“ ‒ Was hinter dem feministischen Kollektiv aus München steckt

Das feministische Kollektiv „Consent Calling“ im Gespräch mit Hallo München über die Ziele und Visionen und warum die Frauen von der Norm abweichen wollen...
Was es in Berlin, Hamburg oder Leipzig längst gibt, fehlt bislang in München: ein Sexshop, der mehr ist, als nur ein Laden – und bestenfalls die gesamte Gesellschaft in ihrer Vielfalt erreicht. Das will „Consent Calling“, ein feministisches Sexshop-Kollektiv, das momentan im Kern aus sieben Frauen besteht, jetzt ändern.

Angefangen hat es damit, dass Gründerin Sandra Lüders vor eineinhalb Jahren an einer Fortbildung für Sexualpädagogik teilgenommen hat: „Die Inhalte waren teilweise problematisch. Zum Beispiel aufgrund einer vorherrschenden Transfeindlichkeit. Außerdem wurden Pornos per se als etwas Schlechtes dargestellt.“ Dadurch entstand der Gedanke, einen Ort zu schaffen, der emanzipatorische Vorstellungen von Sexualität verwirklicht.
Wie das Kollektiv die Vision umsetzen will, wer davon profitiert und was es mit dem Namen auf sich hat, verrät Sandra Lüders aus dem Westend hier von A bis Z.
„Consent Calling“-Gründerin Sandra Lüders (30) von A bis Z
Aufklärungsunterricht war zu meiner Schulzeit nicht wirklich vorhanden, vielleicht zwei Bio-Stunden. Lust wurde überhaupt nicht thematisiert. Dass Sex Spaß macht und nicht nur der Reproduktion dient, ist im Lehrplan nicht vorgesehen. Dabei könnte man junge Menschen so viel mehr für Verhütung sensibilisieren.
Begegnungsort: Die Menschen sollen nicht nur zu uns kommen, um Kondome zu kaufen – und wenn, dann bekommen sie einen Flyer für eines unserer Bildungsangebot mit. Auch werden wir das Sortiment nicht hinter roten Samtvorhängen bei schlechter Beleuchtung verstecken. Man soll sich gerne begegnen. Wir möchten nicht nur eine gewisse Szene, sondern die breite Öffentlichkeit ansprechen.
Consent Calling ist ein Gegenbegriff zum sogenannten Cat Calling, also übergriffige Kommentare oder Hinterherpfeifen auf der Straße. Der Begriff betont den Konsens als Basis und ist ein Weckruf.
Drei Säulen: Bei dem Verkauf von Sex-Toys und Produkten im Laden geht es um Lust. Außerdem wollen wir dort Bildungsarbeit mithilfe von Workshops und Veranstaltungen leisten. Und dann haben wir noch feministischen Aktivismus.
Ergänzung: Ja, wir üben dezidierte Kritik an herkömmlichen Sexshops und dem Schmuddel-Image. Aber wir sehen uns nicht als Konkurrenz.
Feministisch sind wir, weil mit dem Marker „Geschlecht“ viel Diskriminierung verbunden ist. Die sexuelle Befreiung ist noch nicht erreicht. Das geht von der falschen Annahme, dass Sex gleich nur Penetration ist, über die Tatsache, dass Hetero-Frauen beim Sex zu kurz kommen, bis zu der Erwartung, dass es Männer immer bringen müssen.
Geschlechtsneutral soll unser Laden werden, ohne spezielle Männer- oder Frauenecken, extra pinke oder blaue Toys. So wollen wir Stereotype aufarbeiten.
Hemmschwelle: Viele Menschen fühlen sich beim rein- und rausgehen in einen Sexshop und bei der dortigen Beratung unwohl. Wir möchten einen niederschwelligen Zugang zu einem einladenden, offenen Laden schaffen.
Internet: Der Versuch, Produkte wie Lecktücher zu erhalten, ist oftmals von vielen Hürden geprägt und damit frustrierend. Kaum Sexshops und weder Drogerien noch Apotheken verkaufen diese und so müssen solche Produkte oftmals online bestellt werden.
Jeder ist bei uns willkommen. Das könnte die Hausfrau sein, die einen Workshop zu „Sexualität nach den Wechseljahren“ besuchen möchte oder die Großeltern, die nach guter Aufklärungsliteratur für die Enkelkinder suchen. Oder der Azubi, der sich näher mit der Prostata auseinandersetzen möchte.
Kollektiv: Sexualität ist krass facettenreich und wir wollen versuchen, eine möglichst große Bandbreite abzudecken. Daher engagieren wir uns gemeinschaftlich.
Lust soll zelebriert werden! Klar, wir thematisieren Inhalte wie Feminismus, aber es geht auch darum, Begehren zu entdecken, zu erforschen und zu erweitern.
München ist konservativ geprägt. Auch wenn man versucht, sich mit Schlagwörtern zu schmücken, fehlen entsprechende Räume, in denen Offenheit gelebt wird.
Nichtkommerziell: Wir haben eine antikapitalistische Grundhaltung und arbeiten ehrenamtlich an dem Projekt. Uns ist bewusst, dass das in gewissem Widerspruch zu einem Shop steht. Aber wir haben eine feministische Vision und machen das nicht, um Geld zu verdienen.
Omnipräsent in den Medien und der Werbung ist Sex – und trotzdem ein Tabu.
Pornos und Feminismus schließen sich gegenseitig nicht aus. In der Pornoindustrie läuft viel verkehrt, aber das Medium an sich ist nicht falsch. Ob wir bei uns im Shop Filme anbieten, wissen wir aber noch nicht. Wer kauft denn heute noch DVDs?
Querness: Die meisten Sexshops bedienen heteronormative und Cis- (Anm. d. Red.: Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei ihrer Geburt anhand der Genitalien zugeschrieben wurde) männliche Perspektiven. Alles andere wird als Abweichen von der Norm und nicht auf Augenhöhe dargestellt.
Raumsuche: Unser Crowdfunding läuft noch bis Sonntag, 17. April. Je nachdem, wie viel Unterstützung wir bekommen, suchen wir dann nach einer Ladenfläche, in der wir Produkte verkaufen und Workshops anbieten können.
Selbstbestimmung: Wir wollen gesellschaftliche Zwänge, Normen und Unterdrückungsmechanismen aktiv bekämpfen.
Toys: Im Gegensatz zu Internet-Shops kann man in einem Laden Produkte in die Hand nehmen, das Material fühlen und sich die Funktionsweise persönlich erklären lassen.
Umweltbewusst: Unser Anspruch ist es, dass die Produkte in unserem Laden fair und nachhaltig sind und auch körperlich verträglich. Der Markt für Kinderspielzeug beispielsweise ist stark überwacht. Aber in vielem Sexspielzeug, das ja mit unseren Schleimhäuten in Kontakt kommt, sind Schadstoffe enthalten.
Vision: Inhaltlich sind wir gut aufgestellt. Jetzt sind wir auf breite Unterstützung angewiesen, damit unsere Vision wahr wird.
Workshops wie Feminismus für Einsteiger oder zum Thema Konsens haben wir bereits gehalten. Das wollen wir ausbauen, auch mit entsprechenden Expertinnen.
XS: Bei uns soll es keine Körperdarstellungen geben, die dem vermeintlich klassischen Ideal entsprechen.
Yoni ist der tantrische Begriff für die weiblichen Genitalien. Wir haben festgestellt, dass viele ihre Geschlechtsteile nicht richtig benennen können. Wir wollen auch anatomisches Wissen vermitteln.
Zwang: Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass heute jeder queer, poly-amor und kinky sein muss. Wenn jemand keine Lust empfindet und damit okay ist, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.
Quelle: www.hallo-muenchen.de