Musik und die Politik der richtigen Töne ‒ Dirigentin Anna Handler im Gespräch

Das Juilliard-Kovner-Stipendium wurde Anna Handler als erster Dirigentin weltweit zugesprochen. Jetzt feiert die 26-Jährige den Abschluss ihres Studiums an der renommierten US-Musikhochschule mit einem Konzert in ihrer Münchner Heimat. Ein Anruf in New York, kurz vor der Heimreise.
Frau Handler, was wäre ein Orchester ohne Dirigenten?
Das ist eine spannende Frage, die ich am besten mit einer ähnlichen Gegenfrage beantworten möchte: Was ist eine Gesellschaft ohne Regierung oder eine Firma ohne einen CEO? Es geht immer um Menschen mit Gefühlen, Ideen und Potenzial. Als Dirigentin liegt es an mir, unterschiedliche Meinungen im Moment des Konzerts zu vereinen. Wenn ich es schaffe, Bilder zu erzeugen, die den Musikern helfen, einen bestimmten Klang zu erschaffen, habe ich meine Aufgabe erfüllt.
Das klingt beinahe politisch.
Ich habe früher als Klassensprecherin die Erfahrung gemacht, dass ich gerne Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenbringe. Das Berufsbild des Dirigenten passt zu meiner Persönlichkeit – vielleicht hätte ich auch in die Politik gehen können. Ich sehe aber in der Musik einen genauso starken gesellschaftlichen Auftrag.
Inwiefern?
Aus irgendeinem Grund habe ich diese Leidenschaft für Musik, dieses Feuer, mit in die Wiege gelegt bekommen. Ich sehe es als meine Aufgabe, dieses Feuer weiterzutragen und vielen Leuten damit Licht zu schenken.
Wie steht es um die Gleichberechtigung in Ihrem Beruf?
Insgesamt wird es besser, wir bewegen uns in die richtige Richtung. Es gab und gibt aber leider immer noch Situationen, wo zuerst mein Geschlecht – bei Menschen mit festgefahrenen Rollenverständnissen – darüber entschieden hat, ob man mich fördert oder nicht. Zuletzt an der Juilliard School durfte ich aber in einem sehr inklusiven, aufgeklärten Umfeld wachsen, was ein großes Geschenk war. Schwierig ist, dass meine Generation der Dirigentinnen im Moment sehr häufig hört, dass wir aufpassen müssen, was wir annehmen, nur weil es gerade „in“ sein kann, eine Frau als Dirigentin einzuladen.
Um nicht bloß „Quotenfrau“ zu sein?
Keine Person will engagiert werden, nur weil sie ein bestimmtes Geschlecht hat, sondern weil sie eine gewisse Leistung erbringt. Und junge Männer müssen ebenso aufpassen, was sie in ihrer Karriere wann annehmen, um wieder eingeladen zu werden. Durch die Öffnung dieses Berufs für Frauen, aber auch „people of color“, entsteht eine wichtige Macht-Umverteilung. Gleichzeitig öffnen sich auch ganz neue Märkte und wir erreichen neue Zielgruppen.
Das Juilliard-Kovner-Fellowship haben Sie als erste Dirigentin überhaupt erhalten.
Ja, durch sehr viel Mut und harte Arbeit. Ich hatte niemanden in meinem Umfeld, der hier zuvor studiert hat. Ich habe einfach davon geträumt und alles dafür gegeben, dass der Traum wahr wird. Und dann kam nach einem fünf Monate langen Aufnahmeprozess diese E-Mail mit animierten Luftballons und Luftschlangen: „Wir können es nicht erwarten, Sie in unserer Gemeinschaft willkommen zu heißen.“ Diese zwei Jahre in New York waren mit die glücklichsten und intensivsten meines Lebens. Jetzt folgt noch die besondere Abschlusszeremonie, mit den Roben und Hütchen, die man in die Luft werfen kann, und ich erhalte mein Diplom.
Wie geht es nach dem Studium weiter?
So viel darf ich schon verraten: Ich werde sowohl in den USA als auch in Europa arbeiten. Aber nach dem Studium ist es für mich wichtig, nicht nur selbst zu dirigieren, sondern auch weiterhin von den großen Meistern zu lernen. Also, viel zu assistieren, zu beobachten und dann alles zu tun, um sich stets weiterzuentwickeln. Es wird viel Reiserei sein!
Die Reise beginnt mit einem Konzert in der Münchner Heimat mit dem von Ihnen gegründeten Orchester „Enigma Classica“.
Ich steige gefühlt aus dem Flieger, um direkt zu den Proben in meine Heimat, Ottobrunn, zu fahren. Viele Leute in dem Orchester waren schon immer an meiner Seite. Es ist wichtig, mit Menschen zu arbeiten, die an dasselbe „Warum” glauben, die dieselbe Energie und Freude an der Musik haben. Wir sind hungrig nach Wissen und neuen Erfahrungen und freuen uns schon alle auf dieses Konzertprogramm.
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Zur Person
Anna Handler, geboren 1996, studierte zunächst Klavier an der Hochschule für Musik und Theater in München – dann nahm sie den Taktstock in die Hand. An den Moment, als sie zum ersten Mal ein Orchester dirigierte, erinnere sie sich noch gut: „Da habe ich gespürt, welche Kraft von meinen Händen ausgeht. Welche Energie sie auslösen, wie sie Leute zusammenführen können.“ An der Hochschule Weimar lernte sie das Handwerk, an der Juilliard School in New York verfeinerte sie es. Als Assistentin arbeitete sie bereits mit namhaften Dirigenten und Klangkörpern zusammen. Sie assistierte Kirill Petrenko, arbeitete mit den Berliner Philharmonikern, mit Daniel Harding und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bei „Klassik am Odeonsplatz“.
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