Wenn Babys keine Ruhe finden

Aus der Reihe "Alles ums Kind": Manche Babys weinen so viel, dass sie Mutter und Vater regelrecht zur Verzweiflung treiben. So können Eltern den Kleinen helfen
„Gesund in Serie“ – unter diesem Motto beleuchtet Hallo München wöchentlich Themen der Medizin. Aktuell dreht sich alles ums Kind – vom Embryo bis zum Heranwachsenden. Warum sich manche Babys einfach nicht beruhigen lassen und welche Hilfe betroffene Eltern bekommen können, erklärt Dr. Margret Ziegler von der Schreibaby-Ambulanz am kbo-Kinderzentrum.
Tagsüber hat Lukas fast nie geschlafen. Beim Wickeln hat er geschrien, beim Hinlegen auch – eigentlich immer. „Er war nur ruhig, wenn wir mit ihm in der Kindertrage durch die Gegend spaziert sind“, sagt Katharina K. (30). Also ist die Obergiesingerin gelaufen, am Wochenende bis zu 60 Kilometer. „Mir tat alles weh. Gegessen und getrunken habe ich fast nur unterwegs, es war irre anstrengend.“ So anstrengend, dass K. kurz darauf selbst Hilfe brauchte.

Gefunden hat sie diese bei Dr. Margret Ziegler (Foto). Sie leitet die Schreibaby-Ambulanz des kbo-Kinderzentrums in Großhadern, die 1991 die bundesweit erste Einrichtung ihrer Art war. Fast 8.000 Familien wurden seitdem dort beraten.
Außergewöhnlich ist das Phänomen nicht. „Jedes vierte bis fünfte Kind hat in den ersten Lebenswochen Probleme damit, zur Ruhe zu kommen und ausreichend zu schlafen“, erklärt Ziegler. Schreit ein Baby mehr als drei Stunden am Tag, mehr als drei Tage die Woche und das über mehr als drei Wochen, spricht man von einem Schreibaby. „Einige Kinder sind von Geburt an unruhiger“, so Ziegler. In der Regel ist kein medizinischer Grund die Ursache für das exzessive Schreien – sondern eine Reizüberflutung. Meist bessere sich die Situation darum ab dem dritten Lebensmonat. „Wenn nicht, sollte man sich Hilfe holen, vor allem, wenn man sich überfordert fühlt“, sagt Ziegler.
Und das sind der Ärztin zufolge immer mehr Eltern. Der Grund: gesellschaftliche Änderungen. So gebe es mehr Alleinerziehende oder Kleinfamilien, die weit weg von den eigenen Eltern oder anderen Verwandten leben. „Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Da ist etwas Wahres dran“, so Ziegler. „Denn jede Mutter fühlt sich beim ersten Kind überfordert.“
Im Falle von Schreibabys kann das schlimme Folgen haben: Einige Eltern entwickeln Schuldgefühle oder werden depressiv. „Manchmal besteht auch die Gefahr der Misshandlung, etwa wenn Eltern das Baby aus Wut schütteln“, weiß Ziegler. Das ziehe oft schwerste Verletzungen nach sich.
„Viele denken auch, das Kind schreit, weil ihm langweilig ist und versuchen, es abzulenken. Aber in dem Alter hat ein Kind keine Langeweile“, so Ziegler. Wird das Baby bespaßt, prasseln noch mehr Reize auf es ein. „Dann kann es zu Langschreiphasen kommen.“
So wie bei Lukas. „Irgendwann hat er nur noch minutenweise Ruhe gegeben, für mich war die Situation nicht mehr tragbar“, erinnert sich Katharina K. Geholfen hat ihr schließlich ein vierwöchiger Aufenthalt im Kinderzentrum, die Gespräche mit Psychologen und die Unterstützung, etwa beim Schlafenlegen ihres Sohnes. „Ein stationärer Aufenthalt ist aber die absolute Ausnahme“, sagt Ziegler. Bei Familie K. hat er Großes bewirkt: Inzwischen schläft Lukas nicht nur in der Trage ein – sondern auch auf dem Arm oder in seinem eigenen Bett. Romy Ebert-Adeikis
So funktioniert die Schreibaby-Ambulanz
Um bei der Schreibaby-Ambulanz vorstellig zu werden, brauchen Eltern eine Überweisung des Kinderarztes. Dann kommt die Familie zur Sprechstunde, in der Regel drei bis vier Mal. In der Ambulanz werden die Kinder nochmals auf medizinische Ursachen untersucht: So vertragen bis zu zehn Prozent der betroffenen Babys etwa keine Kuhmilch. Gleichzeitig gibt es immer eine psychologische Untersuchung. In Gesprächen mit den Eltern wird versucht, diesen etwaige Schuldgefühle zu nehmen. Häufig sollen die Eltern auch ein Schlaftagebuch führen, um einen festen Schlaf-Rhythmus zu etablieren. „Babys sollten in den ersten Lebensmonaten am Tag nicht länger als 1,5 Stunden am Stück wach sein“, rät Expertin Ziegler. Beim Einschlafen helfen abgedunkelte Räume und beruhigende Klänge.