Die fünf Sinne (3): Polyneuropathie führt zu Missempfindungen in den Füßen und Händen

Im dritten Teil unserer Gesundheits-Serie beleuchten wir eine Krankheit, die mit dem Fühlen zu tun hat. Dazu äußerten sich ein Erkrankter und zwei Ärzte:
„Gesund in Serie“ – unter diesem Motto beleuchtet Hallo München wöchentlich Themen der Medizin. Unsere aktuelle Serie widmet sich den fünf Sinnen des Menschen und ihren Erkrankungen – etwa der Polyneuropathie. Was es mit der häufigen, aber oft wenig bekannten Krankheit auf sich hat, berichten ein Betroffener und zwei Fachärzte.
Zuvor hat Hallo bereits über Seherkrankungen wie den Grauen Star und Hörerkrankungen wie die Schwerhörigkeit berichtet.

Polyneuropathie: Ein Betroffener über ihre Wirkung
Am Anfang fühlte sich Martin Thomas (Name von der Redaktion geändert) wie eine Ballerina. „Eine, die die Füße ganz eng zusammengeschnürt hat“, erzählt der Rentner aus dem Münchner Osten. Seit Beginn seiner Krankheit vor acht Jahren sind weitere Missempfindungen dazugekommen.
„Nachts fühlt es sich manchmal an, als ob ein Tier reinbeißt. Aber grundsätzlich kann man es sich vorstellen, wie wenn man ständig barfuß über Kieselsteine an der Isar spaziert“, sagt Thomas. Das Gehen fällt ihm inzwischen schwer. „Wenn ich noch arbeiten müsste, das würde so gar nicht funktionieren.“
Einschränkung des Fühlens: Das sind die häufigsten Ursachen von PNP
Hinter Thomas’ Schmerzen steckt eine Polyneuropathie (PNP) – eine Schädigung der äußersten Nervenenden. Nicht selten spielt Verschleiß eine Rolle. „Wie bei anderen Sinnen wird auch das Fühlen im Alter schlechter“, sagt Professor Klaus Jahn, Chef der Neurogeriatrie an der Schön-Klinik Bad Aibling. Deswegen ist die Verbreitung der PNP gerade unter Älteren enorm: „Bei Über-80-Jährigen betrifft es mehr als die Hälfte“, sagt Jahn.
Öffentlich über ihre Erkrankung sprechen wollen aber nur wenige, aus Angst vor den Reaktionen von Familie, Nachbarn oder Fremden. „Man sieht es ja nicht. Und solange man die Krankheit nicht hat, kann man sie auch nicht nachvollziehen“, sagt Thomas. Ein weiterer Grund: Die Erkrankung wird oft mit Alkoholmissbrauch in Verbindung gebracht.
Der ist – neben Diabetes – eine der häufigsten Ursachen. „Über 50 Prozent der Fälle gehen auf diese beiden Dinge zurück“, sagt Neurologie-Experte Jahn. Zudem kann der Gang der Betroffenen bei schweren Verläufen durch die Missempfindungen wackelig werden. „Man geht dann, als ob man betrunken wäre.“
So unterschiedlich die PNP ausgeprägt ist – vom Gefühl, dass Ameisen über die Haut laufen, bis hin zu stärksten Schmerzen; von akuten Entzündungen bis zu chronischen Formen – sind aber auch die Auslöser. Vitaminmangel, Medikamente oder Chemotherapien können die Krankheit ermöglichen. In solchen Fällen behebt man die Ursache, ändert etwa Arzneimittel.
Einschränkung des Fühlens durch PNP: Oft kann keine Ursache gefunden werden
Aber: Bei etwa einem Drittel der Betroffenen findet man gar keinen echten Auslöser. So auch bei Martin Thomas: „Ich war bei 17 Ärzten und jeder hat mit dem Kopf geschüttelt“, erinnert sich der Münchner. „Bei diesen idiopathischen Fällen kann man maximal das Fortschreiten der Krankheit verhindern und Symptome lindern. Die Nerven wachsen ja nicht nach“, sagt Dr. Wolfgang Luppa vom Schmerzzentrum in München.

Einschränkung des Fühlens durch PNP: Diese Therapien kommen in Frage
Eine Schmerztherapie ist oft vielschichtig. Eine neuere Option sind sogenannte Pfeffer- oder Chilipflaster. Deren Schärfestoff Capsaicin reizt die Schmerzrezeptoren in der Haut, bis diese abstumpfen. „Die Pflaster kommen aber nur zum Einsatz, wenn sich die PNP gut auf eine Körperstelle eingrenzen lässt“, erklärt Luppa. Die Wirkung hält circa drei Monate an. „Bei mir ist es das Einzige, das etwas hilft“, so PNP-Patient Thomas.
In Sachen Schmerzen hat sein Arzt Wolfgang Luppa immerhin einen Hoffnungsschimmer: Gerade bei schweren Verläufen kann die Krankheit sozusagen ausbrennen. „Irgendwann ist der Nerv abgestorben. Dann bleibt zwar eine Taubheit, aber immerhin kein Schmerz.“
Medikamente und Psychologie: „Eine Schmerztherapie ist immer ganzheitlich“
Wie ein Mensch Schmerzen wahrnimmt, ist sehr unterschiedlich. „Was den einen kaum juckt, macht einen anderen fast wahnsinnig“, erklärt Schmerz-Experte Wolfgang Luppa. Reagiert man panisch, kann der Körper die Empfindung noch verstärken. „Deswegen ist Schmerztherapie immer ganzheitlich zu sehen.“
Neben Medikamenten wie Anti-Depressiva, Anti-Epileptika oder Opiaten wird Betroffenen darum auch psychologische Unterstützung angeboten. Entspannungs- oder Ablenkungsmethoden können individuell helfen, „sind aber kein Standard“, sagt Luppa. Um die Gehsicherheit zu stärken, bekommen viele Patienten auch Physiotherapie.
Quelle: www.hallo-muenchen.de