Ritalin als allerletzter Ausweg

Aus der Reihe "Alles ums Kind": Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS) hat viele Facetten - und ist nicht immer leicht zu erkennen. So können Sie Ihren Kindern helfen
„Gesund in Serie“ – unter diesem Motto beleuchtet Hallo München wöchentlich Themen der Medizin. Aktuell dreht sich alles ums Kind – vom Embryo bis zum Heranwachsenden. Warum manche Kinder einfach nicht stillsitzen können und welche Hilfe sie bekommen, weiß der Kinder- und Jugendpsychiater und ADHS-Experte Dr. Adam Alfred.
Ständig war ihr Sohn Paul unruhig. Alles musste man ihm tausend Mal sagen. Und mit anderen Kindern beschäftigte er sich wenig. Schon früh wurde Anna K. klar, dass ihr Sohn irgendwie anders ist. Irgendwann erhielt er die Diagnose ADHS (siehe unten).
K. möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Man wird als Eltern stigmatisiert. Da heißt es: ,Sie setzen Ihre Kinder nur vor den Fernseher und lasten sie nicht aus. Und dann stellen Sie sie mit Medikamenten ruhig.‘“
Dr. Adam Alfred behandelt in seiner Praxis Kinder, die an ADHS leiden – und ärgert sich über diese Sichtweise: „Es ist oft eine lange Leidensgeschichte, die man aber mit der richtigen Therapie gut in den Griff bekommen kann.“
Um die Krankheit zu diagnostizieren, betrachtet er die emotionale, die kognitive und die soziale Seite des Patienten. „Ein ADHS-Kind hat in jedem dieser Bereiche Probleme“, sagt Alfred. Es könnte beispielsweise hochbegabt sein und trotzdem eine Förderschule besuchen. Mit Fragebögen und Intelligenztests komme Alfred zu einer relativ klaren Diagnose. Anschließend erarbeitet er gemeinsam mit Eltern und Kind eine Therapie. „Man muss sich die Umgebung anschauen: Welche Ressourcen hat die Familie? Auf welcher Schule ist das Kind am besten aufgehoben?“ Oft sei eine Förderklasse geeignet, weil dort weniger Schüler sind. Die Real- oder Mittelschule anstelle des Gymnasiums seien häufig eine gute Option, um den Druck zu verringern. „Dadurch gewinnt man Zeit und gibt dem Kind die Chance, sich weiterzuentwickeln“, so Alfred. Oft ließen die Symptome im Laufe der Zeit nämlich nach. „Ich weiß nicht, ob es an der Therapie oder der normalen Gehirnentwicklung liegt“, sagt der Arzt.
Medikamente wie Ritalin seien immer das letzte Mittel. „Bei uns in der Praxis bekommt ein Drittel aller Kinder Medikamente. Bei ihnen hat sich alles andere als nicht wirksam herausgestellt.“ Auch K. sagt: „Wir standen irgendwann an dem Punkt, an dem wir einsehen mussten, dass nur noch Medikamente helfen.“ Die Familie habe ein Präparat ausprobiert und festgestellt, dass sich bei Paul die Konzentration verbesserte. Er selbst habe auch gesagt, es gehe ihm damit besser. Die Präparate wirken an bestimmten Synapsen im Gehirn.
Bei Kleinkindern greife man in der Regel nicht zu Ritalin und Co. sagt Alfred. „Eine zuverlässige Diagnose ist erst im Alter von vier bis fünf Jahren möglich, denn vorher entwickeln sich Kinder zu schnell weiter. Meist treten ernste Schwierigkeiten sowieso erst in der Schule auf.“ A. Schwarzbauer
Was sind Anzeigen für ADHS?
Bei ADHS gibt es zwar keine so eindeutigen Symptome wie bei anderen Krankheiten, aber es gibt Anzeichen dafür, dass ein Kind an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung leidet:
• Leichte Ablenkbarkeit: Es fällt betroffenen Kindern schwer, sich zu konzentrieren. In der Schule haben sie hierdurch große Probleme, dem Unterricht zu folgen. Begonnene Aufgaben oder Spiele werden vielfach nicht beendet.
• Starker Bewegungsdrang: Auffällig ist eine erhebliche äußere Unruhe. Das Stillsitzen, auch für kurze Zeit, fällt extrem schwer.
• Unkontrolliertes Handeln: Betroffene Kinder handeln impulsiv, nicht vorausschauend. Sie platzen mit Antworten heraus, bevor Fragen zu Ende gestellt wurden und beginnen mit der Umsetzung von Aufgabenstellungen, ohne diese komplett verstanden zu haben.