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Wenn Pflege krank macht: „Viele Angehörige tun sich schwer, Hilfe anzunehmen“

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Von: Sebastian Horsch

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Die Pflege von Angehörigen führt oft zu einer großen Belastung für die Betroffenen. © dpa / Oliver Berg

280 000 Bayern pflegen ihre Angehörigen. Viele von ihnen sind stark belastet. Sie leiden unter Schlafmangel und sind häufiger krank als andere Menschen. Trotzdem werden oft nicht alle Hilfsangebote genutzt, zeigt der Pflegereport der Barmer.

München – Jens Schneider hat damals viel falsch gemacht, sagt er. Zwei Jahre haben seine Frau und er gemeinsam seine demenzkranke Schwiegermutter daheim gepflegt. Der ehemalige Apotheker wirft sich unter anderem vor, die Krankheit viel zu lange gar nicht erkannt zu haben. Sein schlechtes Gewissen sei auch ein Grund, warum er sich heute in der Alzheimer-Gesellschaft Augsburg engagiert, sagt der Vorsitzende des Vereins, der Betroffene und Angehörige im Raum Augsburg berät.

Ein weiterer Fehler, den seine Frau und er gemacht hätten, habe darin gelegen, Unterstützung nicht in Anspruch zu nehmen. Typisch sei das. „Viele Angehörige tun sich schwer, Hilfe anzunehmen“, weiß Schneider heute.

Schlafmangel und erhöhtes Krankheitsrisiko

Das bestätigt auch der Pflegereport der Krankenversicherung Barmer. Für 85 Prozent der 280 000 pflegenden Angehörigen in Bayern bestimmt die Pflege ihr tägliches Leben. Fast 40 Prozent leiden unter Schlafmangel, ein Drittel fühlt sich in der Rolle gefangen. „Es ist alarmierend, dass fast jeder fünfte der pflegenden Angehörigen Zukunfts- und Existenzängste hat“, sagt Claudia Wöhler, die Bayern-Chefin der Barmer. Die Verantwortung und der Druck, die auf ihnen lasten, machen die Angehörigen öfter krank als Menschen, die niemanden pflegen. In Bayern leiden mehr als die Hälfte der Pflegenden unter Rückenbeschwerden, fast ein Drittel unter psychischen Störungen. Auch die Verdauung und die Gelenke machen häufiger Probleme als bei Menschen ohne Pflegebelastung.

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Durchschnittlich dauere die Pflege täglich zwölf Stunden, sagt Schneider. Und rund 60 Prozent der pflegenden Angehörigen wünschen sich laut Pflegereport dabei Unterstützung. Trotzdem würden Kurzzeit-, Tagespflege oder Betreuungs- und Haushaltshilfen eher selten in Anspruch genommen, hat die Barmer festgestellt. Begründen würden das die Angehörigen meist mit Zweifeln an der Qualität und den Kosten. „Nur ich kenne meinen Mann.“ Auch solche Sätze hört er oft, sagt Schneider.

Doch wenn die Belastung zu groß wird, können die Folgen schwerwiegend sein. Nach Hochrechnung der Barmer sind etwa 21 000 Bayern von der Pflege so erschöpft, dass sie kurz davor stehen, das Handtuch zu werfen. Wünschen würden sich fast 60 Prozent der Befragten weniger Bürokratie und mehr Transparenz bei der Beantragung von Leistungen. „Wir müssen aufpassen, dass das System der häuslichen Pflege langfristig nicht kollabiert“, warnt Schneider deshalb. Um das zu verhindern, seien die frühzeitige Begleitung der Angehörigen und der Bürokratieabbau von elementarer Bedeutung.

Erste Schritte in die richtige Richtung erkennt Barmer-Chefin Wöhler bereits. So sei es „richtig, dass die Bundesregierung die Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem jährlichen Entlastungsbudget für Pflegebedürftige zusammenführen möchte“, sagt sie. Auch dass für Pflegebedürftige ab Pflegegrad drei künftig keine Genehmigung der Kasse nötig sein soll, sei „ein wichtiger Schritt in Richtung Entbürokratisierung“.

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