Forderung der Grünen: Physiotherapeut nur noch mit Studium? - Chef einer Berufsfachschule sieht Katastrophe

Physiotherapeut soll man künftig nur noch mit Bachelor-Abschluss werden können. Hubert Döpfer, Chef der gleichnamigen Berufsfachschulen warnt vor den Folgen.
Regensburg - „Bei den Koalitionsverhandlungen sind wir nur Spielball, unwichtige Verhandlungsmasse“, beklagt Hubert Döpfer. Der Träger der gleichnamigen Döpfer-Schulen warnt angesichts einer möglichen Vollakademisierung von Therapieberufen vor einem steigenden Fachkräftemangel, aber auch vor massiven Arbeitsplatzverlusten.
Pläne für Physiotherapie-Ausbildung: Bachelor-Abschluss soll der Standard werden
Derzeit werden Physio-, Ergo- und Sprachtherapeuten sowie Logopäden vornehmlich an Berufsfachschulen ausgebildet. Rund 53.000 Schülerinnen und Schüler werden an den knapp 1.000 Berufsfachschulen in ganz Deutschland ausgebildet. 4.000 von ihnen an den 1992 in Schwandorf* gegründeten Döpfer-Schulen mit mehreren Standorten in ganz Deutschland*, darunter Regensburg*. An seinen Schulen und privaten Hochschulen beschäftigt Döpfer knapp 800 Menschen.
Doch wenn es nach den Grünen* im Bundestag geht, könnte es damit bald vorbei sein. Sie fordern ein Bachelor-Studium als Zugangsvoraussetzung zum Therapieberuf und befinden sich mit dieser Forderung auch im Einklang mit dem Gros der Berufsverbände, die sich davon eine Attraktivitätssteigerung des Berufs, bessere Bezahlung und Aufstiegschancen versprechen. Innerhalb der EU ist Deutschland das einzige Land, in dem die Akademisierung von Therapieberufen nicht der Standard ist.
Pläne für Physiotherapie-Ausbildung: Wer kein Abi hat, hat Pech gehabt
Für Döpfer ist diese Sichtweise zu kurz gegriffen. „Nur ein Drittel unserer Schülerinnen und Schüler haben Abitur oder Fachabitur. Mit der Vollakademisierung würde zwei Drittel der Schüler der Zugang zum Therapieberuf künftig verwehrt, zumindest stark erschwert.“
Der Unternehmer verweist darauf, dass „das hohe Niveau unserer praxisorientierten Ausbildung“ europaweit anerkannt sei. In Deutschland ausgebildete Physiotherapeuten würden im EU-Ausland auf demselben Level angestellt wie ihre Kolleginnen und Kollegen mit Studium. Aus Österreich und Südtirol würden denn auch zahlreiche Schülerinnen die Berufsfachschulen in Deutschland besuchen, um als Therapeutin arbeiten zu können. Auch aus Frankreich gebe es Anfragen.
Physiotherapeuten: Studium spielt bei der Bezahlung kaum eine Rolle
Auch bei der Bezahlung spiele es nahezu keine Rolle, ob ein Physiotherapeut nun von der Berufsfachschule komme oder ob er einen Bachelor- oder Master-Abschluss habe. 90 bis 95 Prozent der Physiotherapeuten arbeiteten in Praxen, so Döpfer. „Dort richtet sich die Vergütungen der Krankenkassen nach den Rezepten, nicht nach dem akademischen oder nicht-akademischen Level der Therapeuten.“
Angesichts des Fachkräftemangels hätten die Absolventen bei den Jobs derzeit „freie Auswahl“, auch die Gehälter und Vergütungen der Krankenkassen seien angesichts in den letzten Jahren deshalb deutlich gestiegen. „Unsere Schulen sind voll. Ich sage mal ganz arrogant: Wenn das so weiter ginge und wir die Kapazitäten noch etwas ausbauen dürften, dann könnten wir das mit dem Fachkräftemangel im Therapiebereich in fünf Jahren beheben.“
Döpfer-Chef über Akademisierungspläne: „Wir brauchen nicht mehr Häuptlinge als Indianer.“
Eine Akademisierungsquote von zehn bis zwanzig im Therapiebereich hält auch Döpfer für vernünftig. Mehr aber nicht. „Wir brauchen nicht mehr Häuptlinge als Indianer. Aber wenn wir Vollakademisierung haben, gibt es nur noch Häuptlinge.“
Sollte die Akademisierung, die derzeit Gegenstand der Koalitionsverhandlungen ist, dennoch kommen, sieht Döpfer eine „mittlere Katastrophe“ auf seine Schulen zukommen. „Ich müsste mehrere Standorte schließen.“ Bundesweit seien angesichts dessen bis zu 20.000 Arbeitsplätze an den Berufsfachschulen bedroht. „Im Prinzip ist das ein Skandal und ich verstehe nicht, warum das kaum jemanden interessiert.“
Front gegen Akademisierungspläne: „Die Stimmen aus den Praxen kommen zu kurz.“
Dass ein Großteil der Berufsverbände sich dennoch für eine Vollakademisierung im Therapiebereich ausspricht kann Döpfer nicht nachvollziehen. „Ich würde vermuten, dass ein Großteil der Verbandsvertreter in staatlichen oder kommunalen Kliniken beschäftigt ist, wo ein Hochschulabschluss bei der Vergütung tatsächlich eine Rolle spielt.“ Doch das Gros der Therapeuten arbeite in den Praxen. „Da hat man dann auch nicht so viel Zeit, um sich im Verband zu engagieren. Deshalb kommen diese Stimmen dort zu kurz.“
Mit anderen Berufsfachschulen, Praxen und einigen Berufsverbänden hat Döpfer kürzlich eine „Allianz für Gesundheitsberufe“ ins Leben gerufen, um gegen die Akademisierungspläne Front zu machen, aber auch eine Novellierung der Ausbildungsverordnung zu erreichen. „Da gäbe es einiges, um den Beruf attraktiver zu machen.“
Döpfer-Chef: „Viele kennen nicht mal den Unterschied zwischen Berufsschule, Berufsoberschule und Berufsfachschule“
Viel Hoffnung, dass diese Stimmen gehört werden, scheint Döpfer sich aber nicht zu machen. „Wir haben gemerkt, dass viele Politiker, die wir eingeladen haben, nicht einmal wussten, was der Unterschied ist zwischen Berufsschule, Berufsoberschule und Berufsfachschule. Wenn das schon keiner weiß, aber jetzt über die Zukunft der Berufsfachschulen entscheiden soll, dann weckt das wenig Hoffnung bei mir.“ Zwar zählt die FDP bei den Koalitionsverhandlungen eher zu den Gegnern einer Vollakademisierung, aber, so Döpfer: „Ich traue Christian Lindner locker zu, dass er sagt: Wenn wir dafür keine Erbschafts- oder Vermögenssteuer kriegen, geben wir das eben preis.“ *Merkur.de/bayern ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
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