Abschied nach 47 Dienstjahren: „Ich habe Szenen gesehen, die ich nie vergessen werde“

Alois Mannichl, der Leiter der Bayerischen Grenzpolizei, verabschiedet sich nach 47 Jahren in den Ruhestand. Es gibt Momente seines Berufslebens, die er nie vergessen wird. Die Flüchtlingskrise zum Beispiel. Aber auch der Anschlag auf ihn hat ihn verändert, berichtet er.
Als Alois Mannichl 1973 Polizist wurde, war sein Streifenfahrzeug ein VW Käfer. Mobiltelefone oder elektronische Datenbanken gab es noch nicht. „Wir haben mit einem Fernschreiber gearbeitet“, erzählt er. Heute hat der 64-jährige Leiter der bayerischen Grenzpolizei seinen letzten Arbeitstag. Er verlässt eine Polizei, die mit technisch hochausgestatteten Einsatzfahrzeugen unterwegs ist. So vieles hat sich in den vergangenen 47 Jahren verändert. Außer seiner Leidenschaft für den Beruf.
Warum sind Sie Polizist geworden?
Als ich mit der Schule fertig wurde, gab es keinen anderen Beruf für mich. Obwohl ich keinen Polizisten persönlich kannte. Als ich zur Einstellungsprüfung gefahren bin, war ich einer von 30 Bewerbern. Genommen haben sie nur drei oder vier. Ich hatte großes Glück. Und ich habe meine Berufswahl nie bereut.
In den 80ern sind Sie in den gehobenen Dienst aufgestiegen. Hat Ihnen der Polizeialltag draußen auf der Straße oft gefehlt?
Ganz gelöst habe ich mich davon nie. Erst vor Kurzem war ich wieder mit draußen an einer Kontrollstelle und habe hautnah miterlebt, wie die Fahnder mit ihrem Spürsinn gesuchte Personen aus dem Verkehr ziehen. Ich habe immer versucht, den Kontakt zur Basis zu halten.
Mannichl hatte viele Funktionen in seinem Berufsleben. Er war Kripo-Chef in Niederbayern, Passauer Polizeichef, Direktor der Bayerischen Grenzpolizei, bis sie 1998 aufgelöst wurde. Vor zweieinhalb Jahren wollte er sich in den Ruhestand verabschieden. Dann kam ein Anruf aus dem Innenministerium. Er wurde gefragt, ob er die vom damals neuen Ministerpräsidenten Markus Söder wieder eingeführte Grenzpolizei aufbauen und leiten würde. Heute ist Mannichl froh, dass er sich dieser Herausforderung gestellt hat. „Die letzten Jahre waren eine wunderbare Zeit“, sagt er. Obwohl es immer wieder Kritik gab, dass die Grenzpolizei ein „Etikettenschwindel“ wäre.
Wenn die Grenzpolizei als Nullnummer bezeichnet wird, tut mir das für meine Kollegen weh. Sie leisten jeden Tag hervorragende Arbeit.
Wie sehr ärgert es Sie, dass es noch immer Debatten über den Nutzen der Grenzpolizei gibt?
Wir leben in einem Land, in dem man Kritik üben darf. Allerdings hat sich die Grenzpolizei längst bewährt – es wäre an der Zeit, sie zu akzeptieren. Mich hat es nie so sehr belastet, wenn die Grenzpolizei als Nullnummer bezeichnet wurde. Aber für meine 700 Kollegen, die jeden Tag draußen hervorragende Arbeit leisten, tut mir das weh. Das haben sie nicht verdient. Jeden Arbeitstag beginne ich damit, mir einen Überblick über die Fahndungsaufgriffe der letzten 24 Stunden zu machen. Dann sehe ich, mit welchem Gespür sie kontrollieren, welche Verstecke sie finden – ich bin ihr größter Fan.
Die Grenzpolizei ist auch wegen der Erfahrungen aus Flüchtlingskrise eingeführt worden. Wie haben Sie den Herbst 2015 erlebt?
Ich war damals Einsatzleiter in Niederbayern – wir haben an den Grenzen unvorstellbares Leid gesehen. Aber auch viel Mitmenschlichkeit erlebt. Besonders beim Anblick der völlig erschöpften Kinder war ich manchmal den Tränen nahe, ich habe Szenen gesehen, die ich nie vergessen werde. Ich bin froh, dass unsere Kanzlerin damals eine organisierte Einreise ermöglicht hat. Denn ich bin sicher: Es wären nicht weniger Menschen gekommen – aber mehr wären mit Schleusern gekommen, die mit der Not von Geflüchteten Geld verdient hätten. Und sie sind damals von Woche zu Woche brutaler und skrupelloser geworden.
Was haben Ihre Kollegen erlebt?
Es gab immer mehr Verfolgungsfahrten. Die Gefahr für die Menschen in den Autos und andere Verkehrsteilnehmer wurde immer größer. Einmal hat ein Schleuser seinen Wagen auf der Überholspur ausrollen lassen und ist währenddessen aus dem Auto gesprungen und weggerannt. In dem Kastenwagen waren 30 Menschen, auch Kinder. Es war ein Wunder, dass niemandem etwas passiert ist.
2020 gehörten auch die Corona-Kontrollen zu den Aufgaben der Grenzpolizei. Wie frustrierend ist das für Schleierfahnder?
Frustrierend nicht, das ist ein Beitrag, um Menschenleben zu retten. Natürlich bindet das viele Kräfte – aber wenn wir ein Fahrzeug kontrollieren, geht es nicht nur um die Einhaltung der Hygieneregeln.
Der größte Einschnitt in Alois Mannichls Berufsleben war der Anschlag auf ihn. Im Dezember 2008 wurde er an seiner Haustür niedergestochen. Er überlebte nach einer Notoperation. Zuvor hatte es mehrere Polizeiaktionen gegen Rechtsextreme unter seiner Leitung gegeben. Bis heute vermutet man, dass der Täter ein Rechtsextremist war. Doch ist der Fall nicht aufgeklärt.
Ich bin mir ganz sicher, dass der Anschlag auf mich noch aufgeklärt wird. Die bayerische Polizei hat einen langen Atem.
Glauben Sie noch daran, dass der Täter von damals ermittelt wird?
Ich bin mir ganz sicher, dass der Fall aufgeklärt wird. Die bayerische Polizei hat einen langen Atem. Irgendwann wird es den entscheidenden Hinweis geben.
Wie schwer fällt es Ihnen, die Ermittlungen anderen zu überlassen?
Ich weiß, dass sie in guten Händen sind, deshalb halte ich mich zurück. Aber natürlich ist man auch als Privatperson bemüht, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Es ist für mich bis heute eine Gratwanderung, Distanz zu wahren.
Wie sehr hat Sie dieser Moment der Todesangst verändert?
Ich bin vorsichtiger geworden. In gewissen Situationen auch unsicherer – weil man ja nie weiß, ob der Täter wieder auftauchen könnte. Das ist natürlich belastend. Der Anschlag wird mich immer begleiten. Aber ich finde es schade, wenn meine Arbeit zu sehr darauf fokussiert wird.
Eigentlich wollte Alois Mannichl sich mit einer Feier von seinen Kollegen verabschieden. Wegen Corona ist das nicht möglich. Dieser Freitag wird für ihn ein ganz normaler Arbeitstag. „Hoffentlich nicht zu emotional.“ Die meisten Schränke in seinem Passauer Büro sind bereits leer geräumt. Nur die Bilder seiner beiden Kinder und der drei Enkel stehen noch im Regal. Sie sind das letzte, was er einpacken will.
Haben Sie Angst vor Langeweile im Ruhestand?
Im Gegenteil. Ich habe mir viel vorgenommen und freue mich darauf, mehr Zeit für meine Hobbys Motorradfahren und Skifahren zu haben.
Ihren Platz nimmt Ihre Stellvertreterin Annette Lauer ein. Ist es bei der Polizei selbstverständlich, dass eine Frau so eine Position bekommt?
Sie wird meine Nachfolgerin nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie eine sehr tüchtige Frau ist und ihr Handwerk versteht.